Entscheidungsstichwort (Thema)
Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. besondere Leistung. schulische Ausbildung außerhalb einer besonderen Einrichtung. Prognose der Geeignetheit. einstweilige Anordnung. Anordnungsanspruch. Interessenabwägung. Unterbrechung der Ausbildung. Kostenrisiko. zeitliche Begrenzung auf erstes Ausbildungsjahr
Leitsatz (amtlich)
1. Zur schulischen Ausbildung als besondere Leistung gemäß § 117 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 3 (Anschluss an BSG 17.11.2005 - B 11a AL 23/05 R = EzB-VjA SGB III §§ 97ff Nr 1).
2. In die Folgenabwägung des einstweiligen Anordnungsverfahrens bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist das Interesse des behinderten Menschen an der ununterbrochenen Fortsetzung der Ausbildung und das Interesse der Bundesagentur, von Kosten einer möglicherweise nicht erfolgreichen Ausbildung verschont zu werden, einzustellen. Die aus der Unterbrechung erwachsenden Nachteile können im Einzelfall das Kostenrisiko der Finanzierung einer nicht der Eignung entsprechenden Ausbildung überwiegen, denn die Bundesagentur hat bereits von Gesetzes wegen das Risiko einer sich im Nachhinein als nicht erfolgreich erweisenden Ausbildung zu tragen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass im vorläufigen Rechtsschutzverfahren durch eine ermessensbedingte Befristung der einstweiligen Anordnung nicht die Kosten der gesamten Ausbildung dem Kostenrisiko der Bundesagentur unterfallen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.10.2013 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Rahmen einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für die Zeit vom 01.01.2014 bis zum 31.08.2014 eine Ausbildung zur Servicefachkraft für Dialogmarketing am bbs N. sowie die damit in Zusammenhang stehende Unterbringung dort zu gewähren und entsprechende Kosten zu übernehmen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ¾ der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes in beiden Instanzen zu erstatten.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten ist, der Antragstellerin vorläufig eine zweijährige Ausbildung zur Servicefachkraft für Dialogmarketing im bbs N. samt Internatsunterbringung zu gewähren.
Die nach ihren eigenen Angaben 1993 geborene Antragsstellerin stammt aus dem K.. Einen Pass besitzt sie nicht und hält sich auf Grundlage einer Duldung durch die Ausländerbehörden in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie ist an der Leberschen kongenitalen Amaurose erkrankt, weshalb sie auf beiden Augen nur Lichtschein wahrnehmen kann. Ihr ist ein GdB von 100 sowie die Merkzeichen “B„, “G„, “RF„, “H„ und “BL„ zuerkannt.
Nach dem Besuch der B.-H.-Schule in der Nikolauspflege, einer Sonderschule für Blinde, wo die Klägerin die Abschlussprüfung nach der 9. Klasse der Hauptschule mit Erfolg (Gesamtnote: 2,5; Zeugnis vom 27.07.2011) ablegte, absolvierte die Klägerin von September 2011 bis Juli 2012 ein Sonderberufsvorbereitungsjahr für Blinde und Sehbehinderte in der T.L.-Schule in der Nikolauspflege. Von September 2012 bis zum August 2013 erbrachte die Antragsgegnerin eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BvB) im Berufsbildungswerk (BBW) S. (Nikolauspflege). Hier erwarb die Klägerin ein Telefonie-Zertifikat. Zudem nahm sie an einer Erprobung für die Berufsausbildung zur Masseurin im bbs N. teil (Ergebnis: nicht geeignet). Des Weiteren nahm sie im BBW der Nikolauspflege an einer Erprobung für Ausbildungen im Bürobereich teil (Ergebnis: nicht geeignet).
Die Antragstellerin stellte im Juli 2013 beim Sozialamt der Stadt S. einen Antrag auf Förderung einer Ausbildung zur Servicefachkraft für Dialogmarketing einschließlich Internatsunterbringung im bbs N. (Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte N. , das dort Fachschulen betreibt und sich laut seiner Internetseite in allen Belangen für blinde und sehbehinderte Menschen von der ersten Lebenssekunde bis weit über den Abschluss unserer Schulen und Ausbildungen hinaus engagiert: http://www.blindenanstalt-nuernberg.de/index.php). Die Stadt S. - Sozialamt - leitete den Antrag mit Schreiben vom 26.07.2013 an die Antragsgegnerin weiter.
Mit Bescheid vom 19.08.2013 lehnte daraufhin die Antragsgegnerin den Antrag ab. Sie sei bereits bisher der für die Antragstellerin zuständige Reha-Träger für ihre berufliche Eingliederung gewesen. Zuletzt sei in einem Beratungsgespräch am 18.07.2013 festgestellt worden, dass für die Antragsstellerin unter Berücksichtigung ihrer Behinderung, ihrer Kenntnisse und Fertigkeiten kein passender Ausbildungsberuf habe gefunden werden können. Das BBW sei der Auffassung, es komme nur eine Eingliederung in eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) in Betracht. Zudem sei sie als Träger der beruflichen Rehabilitation nur Kostenträger für betriebliche Berufsausbildungen. Bei der von der Antragstellerin angestrebten Berufsausbil...