Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausbehandlung. stationäre Liposuktion. Anspruch auf Vorab-Prüfung durch die Krankenkasse. kein kategorischer Ausschluss der chirurgischen Fettabsaugung bei einem BMI von mehr als 40 kg/m²

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Anspruch auf Durchführung einer sog Vorab-Prüfung durch die Krankenkasse kann vor Durchführung einer stationären Behandlung gegeben sein, wenn zweifelhaft ist, ob die von der Versicherten beanspruchte Behandlungsmethode (hier: stationäre Liposuktion) dem Qualitätsgebot entspricht.

2. Die chirurgische Fettabsaugung bei einem Lipödem im Stadium III ist nach § 4 Abs 4 QS-RL Liposuktion (juris: QLipRL) auch bei Vorliegen eines BMI von mehr als 40 kg/m² nicht in jedem Fall ausgeschlossen.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 29.08.2019 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 22.01.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.07.2018 verurteilt, der Klägerin Leistungen der stationären Krankenhausbehandlung zur Durchführung einer Liposuktionsbehandlung des Lipödems im Bereich der Oberschenkel zu gewähren.

Die Beklagte erstattet der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Liposuktionsbehandlung als Sachleistung streitig.

Die 1964 geborene Klägerin ist aufgrund des Bezugs einer Rente wegen Erwerbsminderung (seit 2015) bei der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner krankenversichert.

Am 15.08.2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Einzelfallentscheidung zur Kostenübernahme einer Liposuktion und legte Befundberichte des Klinikums F. vom 28.04.2017 (Diagnosen: Lipo-Lymphödem der Beine bei massiver Lipohypertrophie der Oberschenkel Stadium III, Lipödem der Arme beidseits Stadium I, Adipositas per magna ≪BMI 48 kg/m²≫, arterielle Hypertonie, chronisches Schmerzsyndrom, Fibromyalgie, Migräne) und des Klinikums D. vom 09.06.2017 (Diagnosen: Lipödem-Syndrom der Beine, Ganzbein-Typ, Stadium II, geplante Therapie Liposuktion in Tumeszenz-Lokalanästhesie in sechs Sitzungen) sowie einen Kostenvoranschlag je ambulanter Sitzung in Höhe von 2.604,16 € vor.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21.08.2017 ab, weil der diagnostische bzw therapeutische Nutzen nicht nachgewiesen sei. Dies beurteile der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA). Die Liposuktion sei eine neue Behandlungsmethode, die bisher noch nicht bewertet worden sei. Dagegen legte die Klägerin am 23.08.2017 Widerspruch ein. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens legte sie weitere Befundberichte vor und führte zur Begründung aus, dass sie seit 1985 unter einem Lipödem der Beine mit Reithosensyndrom, mittlerweile im Stadium III, leide. Dies führe zu starken Schmerzen über Tag und Nacht sowie körperlichen Beeinträchtigungen beim Treppensteigen, Fußwegen, Fahrradfahren, Wandern, Gehen, bei der dringend notwendigen Krankengymnastik bezüglich des Rückens, längeren Autofahrten sowie zu starker Hämatombildung und Langzeitfolgen (Gonarthrose, Hüftarthrose). Eine Gewichtsreduktion beeinflusse das krankhafte Fettgewebe nicht. Konservative Maßnahmen wie die bereits durchgeführte manuelle Lymphdrainage sowie das konsequente Tragen von Kompressionsstrumpfhosen führten nicht zu einer Verbesserung der Schmerzsymptomatik. Diese seien bei ihr seit 30 Jahren erprobt, könnten nicht einmal die Progredienz aufhalten.

Mit Bescheid vom 22.01.2018 lehnte die Beklagte auch eine Liposuktion als stationäre Krankenhausbehandlung ab. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein (Schreiben vom 14.02.2018). Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies die Widersprüche der Klägerin gegen die Bescheide vom 21.08.2017 und 22.01.2018 als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 04.07.2018). Habe der GBA für eine Methode noch keine positive Empfehlung ausgesprochen, dürften die gesetzlichen Krankenkassen diese grundsätzlich nicht übernehmen bzw bezuschussen. Die Voraussetzungen des § 2 Abs 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) lägen nicht vor. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit liege nicht vor. Der Anwendungsbereich des § 137c SGB V, der eine Kostenübernahme im Falle einer nicht beurteilten Untersuchungs- und Behandlungsmethode dem Grunde nach ermögliche, sei nicht eröffnet.

Dagegen hat die Klägerin am 31.07.2018 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und eine Liposuktion als Sachleistung geltend gemacht. Sie hat zur Begründung ua vorgetragen, dass den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie entnommen werden könne, dass zur dauerhaften Reduktion des krankhaften Unterhautfettgewebes an Beinen und Armen die Liposuktion eingesetzt werde. Diese sei insbesondere dann angezeigt, wenn trotz konsequent durchgeführter konservativer Therapie noch Beschwerden bestünden bzw wenn eine Progredienz auftrete. Sie - die Klägerin - sei aufgrund der massiven Folgeerscheinungen der vorliegenden Krankheit Lipödem vorzeitig berentet. Bereits im Alter von...

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