Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. keine Kostenerstattung für Anschaffung, Ausbildung und Unterhalt eines Assistenzhundes zum Behinderungsausgleich bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). keine unaufschiebbare Leistung iSv § 18 Abs 6 SGB 9. fehlende Kausalität zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung. hier: endgültige Festlegung auf Erwerb und Selbstausbildung eines Welpen bereits vor Antragstellung
Leitsatz (amtlich)
1. Das Hilfsmittelbegehren auf die Versorgung mit einem PTBS-Assistenzhund konkretisiert sich mit dem Kauf des Hundes auf den selbst beschafften Hund.
2. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch nach § 18 Abs 6 SGB IX ist, dass die Kostenbelastung des Leistungsberechtigten wesentlich auf der Leistungsversagung des Rehabilitationsträgers beruht (vorliegend verneint).
3. Ein unter Beachtung des Bedarfs eines Menschen mit Behinderungen speziell ausgebildeter Hund, der aufgrund seiner Fähigkeiten und erlernten Assistenzleistungen dazu bestimmt ist, diesem Menschen die selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, zu erleichtern oder behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen, stellt grundsätzlich ein Hilfsmittel iSd § 33 Abs 1 S 1 SGB V und keinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dar.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 09.09.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Kosten für die Anschaffung und Ausbildung eines PTBS-Assistenzhundes sowie die Übernahme zukünftiger Kosten (Versorgungspauschale) streitig.
Die 1985 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse krankenversichert. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), einer rezidivierenden depressiven Störung, einer dissoziativen Störung und Epilepsie. Bei ihr sind ein Grad der Behinderung (GdB) iHv 80 sowie die Merkzeichen G und B festgestellt. Die Klägerin bezieht Leistungen (Pflegegeld) der bei der Beklagten geführten Pflegekasse ab März 2020 nach Pflegegrad 2. Seit März 2021 erhält sie durch den Beigeladenen Leistungen der Eingliederungshilfe in Form des Ambulant Betreuten Wohnens (ABW) durch eine Fachkraft, derzeit im Umfang von 275 Minuten je Woche (ca 20 Stunden im Monat, monatliche Vergütungspauschale 1.651,53 €)
Am 20.03.2018 verordnete H wegen einer komplexen Traumafolgestörung einen Assistenzhund. Am 23.03.2018 kaufte sich die Klägerin den Labrador Retriever D (geb am 26.01.2018).
Am 06.04.2018 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Anschaffung, Ausbildung und den Unterhalt für einen PTBS-Assistenzhund. Assistenzhunde seien als Hilfsmittel anerkannt und den Blindenführhunden gleichgestellt. Ohne eine sehr vertraute Person könne sie das Haus nicht verlassen. Sie habe große Angst vor Menschen, habe sich aber schon immer wohl mit Tieren gefühlt. Der PTBS-Assistenzhund wäre auch auf ihre Bedürfnisse maßgeschneidert, werde sie aus ihren dissoziativen Zuständen rausnehmen und für Abstand vor fremden Menschen sorgen. Er werde eine Panikattacke erkennen und sie an einen sicheren Ort bringen. Er werde sie aus Alpträumen wecken und sie ermutigen, aktiver zu werden, sie beruhigen, wenn es ihr nicht gut gehe und vieles mehr. Nicht mal zu Hause fühle sie sich richtig wohl. Sie erlaube sich vieles nicht, was ihr guttun würde. Der Assistenzhund sei ihr Weg zur Selbstständigkeit und zur Besserung in allen Bereichen ihres Lebens. Was ihr ein Assistenzhund geben könne, könne von keiner Person ersetzt werden, da sie sich nicht auf Menschen einlassen könne, diesen nicht vertraue und vor ihnen Angst habe. Die Klägerin hat einen (undatierten) Kostenvoranschlag des Deutschen Assistenzhunde-Zentrums D1 über Kosten für Ausbildung eines Hundes iHv 4.908,00 €, eine eigene Kostenaufstellung iHv insgesamt 10.588,00 € (Anschaffung 1.400,00 €, Fahrtkosten, Hundesteuer, Versicherung, Unterhalt) sowie über monatliche Kosten (Unterhalt 167,00 € und Tierkrankenschutzsicherung 50,00 €) und ein ärztliches Attest des N vom 08.02.2018 (Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums E) vorgelegt.
Mit Schreiben vom 23.04.2018 bestätigte die Beklagte den Antragseingang und schaltete am 26.04.2018 den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung B (MDK) ein. Mit Schreiben vom 09.05.2018 wies die Beklagte darauf hin, dass der MDK noch Unterlagen benötige und die Entscheidungsfrist nicht eingehalten werden könne. Der MDK nahm unter dem 16.05.2018 durch den S dahingehend Stellung, dass eine Leistungspflicht der Beklagten für einen PTBS-Assistenzhund aus sozialmedizinischer Sicht nicht gesehen werde. Sog PTBS-Assistenzhunde würden für die Einschränkungen einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung ausgebildet. Ein Therapiehund sei bei der hier beantragten Konstellation kein Hilfsmittel iSd § 33 Fünftes Bu...