Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Bestandsschutzregelung nach Art 45 PflegeVG. Herabstufung in niedrigere Pflegestufe. Umfang des Pflegebedarfs. Wesentliche Änderung. Objektive Beweislast
Orientierungssatz
1. Die Übergangsregelung des Art 45 PflegeVG bewirkt einen eingeschränkten Prüfungsmaßstab sowohl des Leistungsträgers als auch des Gerichts hinsichtlich des zu gewährenden Umfangs von Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung. Nach dieser Vorschrift wurden pflegebedürftige Versicherte, die bis zum 31.3.1995 Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 bis 57 SGB 5 aF erhalten hatten, in die Pflegestufe II eingestuft und erhielten ohne neue Antragstellung entsprechende Leistungen der Pflegeversicherung.
2. Mit der pauschalen Überführung aller Leistungsempfänger nach den §§ 53ff SGB 5 aF in die Pflegestufe II hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, dass in Einzelfällen auch solche Versicherte in den Genuss von Leistungen nach der Pflegestufe II kommen, die nach den Kriterien der §§ 14 und 15 SGB 11 lediglich in die Pflegestufe I hätten eingeordnet werden dürfen oder überhaupt nicht leistungsberechtigt wären.
3. Damit kann ein Versicherter, der in den Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung des Art 45 PflegeVG fällt, nur dann in die Pflegestufe I herabgestuft oder vom Leistungsbezug ganz ausgeschlossen werden, wenn sich der Pflegebedarf durch Umstände verringert hat, die seit dem 1.4.1995 eingetreten sind (vgl BSG vom 13.3.2001 - B 3 P 20/00 R = SozR 3-3300 § 18 Nr 2).
4. Eine Herabstufung bei gegenüber dem Zustand vom 31.3.1995 nach Art und Umfang unverändertem Hilfebedarf ist damit ausgeschlossen.
5. Die objektive Beweislast bezüglich des Vorliegens einer wesentlichen Änderung iS des § 48 SGB 10 trägt der Pflegeversicherungsträger.
Normenkette
PflegeVG Art. 45; SGB XI § 14 Abs. 1, 4; SGB X § 48 Abs. 1 S. 1, § 45
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 11. Juli 2012 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2011 aufgehoben.
Die Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Aufhebungsbescheid der Beklagten.
Die 1992 geborene Klägerin ist an Trisomie 21 und einem angeborenen schweren Herzfehler erkrankt. Ihr wurde ein Grad der Behinderung von 100 und das Merkzeichen “H„ zuerkannt.
Nach einem Antrag auf Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit ließ die Beklagte den Umfang der Pflegebedürftigkeit der Klägerin am 9. März 1994 durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) begutachten. Die Gutachterin T stellte fest, dass die Klägerin im Vergleich zu einem gleichaltrigen Kind einen erheblich höheren Pflegebedarf habe. Sie sei ständig aufsichtsbedürftig. Sie könne greifen, sei aber in der Feinmotorik eingeschränkt. Freies Stehen und Sitzen sei möglich und die Klägerin könne krabbeln. Sie könne einige Schritte mit Festhalten laufen. Frei laufen oder klettern könne sie noch nicht. Sie könne keine festen Speisen zu sich nehmen und auch das Essen mit dem Löffel sei ihr noch nicht möglich. Sie müsse zu allen Mahlzeiten gefüttert werden. Die Nahrungsmittelaufnahme gestalte sich schwierig, da die Klägerin oft nur mit Widerwillen und sehr langsam esse. Sie benötige ständig Hilfe im Bereich der Mobilität und im Bereich der Hygiene. Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Mai 1994 an, dass ab dem Tag der ärztlichen Feststellung, dem 9. März 1994, Schwerpflegebedürftigkeit gemäß § 53 SGB V vorliegt.
Am 16. März 1995 teilte die Beklagte der Mutter der Klägerin mit, dass die Klägerin ab dem 1. April 1995 automatisch in die Pflegestufe II eingestuft werde.
Die Beklagte veranlasste im Jahre 1996 eine Nachbegutachtung hinsichtlich des Umfangs der Pflegebedürftigkeit der Klägerin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung. Der Gutachter Dr. S stellte in seinem Gutachten nach Durchführung eines Hausbesuchs am 5. September 1996 bei der Klägerin fest, dass aufgrund der globalen Entwicklungsverzögerung und der eingeschränkten Belastbarkeit wegen des Herzfehlers bei dieser ein Grundpflegebedarf in Form der Übernahme des Waschens, Duschens/Badens, der Zahnpflege und des Kämmens bestehe. Die Nahrung müsse mundgerecht zubereitet werden und die Klägerin müsse auch an- und ausgekleidet werden. Sie könne nur in Begleitung die Wohnung verlassen und wieder aufsuchen. Hinsichtlich der Darm- und Blasenentleerung und des Aufstehens und Zubettgehens benötige die Klägerin Impulse. Im Vergleich zum Vorgutachten seien aber deutliche Entwicklungsfortschritte erkennbar. Es werde empfohlen in Zukunft, Leistungen der Pflegestufe I zu gewähren. Der zeitliche Umfang an Hilfe gegenüber einem gleichaltrigen gesunden Kind ordne sich gemäß SGB XI in die Pflegestufe I grenzwertig ein.
Mit Bescheid vom 19. Februar 1997 teilte d...