Entscheidungsstichwort (Thema)
Impfschaden. Impfreaktion. STIKO. Anhaltspunkte. Versorgungsmedizin. VO. Impfschadensrecht. Heranziehung des neusten medizinischen Erkenntnisstandes. Beurteilung eines Impfschadens
Leitsatz (amtlich)
Zur Beurteilung eines Impfschadens ist grundsätzlich der neusten medizinische Erkenntnisstand heranzuziehen, auch wenn die Impfung schon längere Zeit zurückliegt.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Klageverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger wegen eines Impfschadens Anspruch auf Versorgungsleistungen hat.
Der Kläger wurde in der 33. Schwangerschaftswoche 1985 geboren. Vor und unter der Geburt kam es zu einer Asphyxierung, d.h. Sauerstoffmangel und Säureüberladung.
Am 17. April 1986 wurde der Kläger gegen Diphtherie, Tetanus und (oral) Poliomyelitis geimpft. Hierbei handelte es sich um eine im Land Berlin empfohlene Schutzimpfung. Zwei Wochen danach sackte der Kläger nach den Beschreibungen seiner Mutter in ihrem Arm schlaff zusammen; sein Gesicht war blass, die Augen halb geschlossen. Nach einigen Minuten setze die Erholung ein. Fieber und Krämpfe traten nicht auf. Die beiden weiteren Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis wurden am 12. und 30. April 1987 vorgenommen.
Ende 1986 wurde bei dem Kläger eine spastische Tetraplegie mit statomotorischer Entwicklungsverzögerung diagnostiziert. Er ist als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von nunmehr 100 anerkannt.
Der Kläger stellte bei dem Beklagten im April 2002 den Antrag auf Versorgung wegen eines Impfschadens. Im versorgungsärztlichen Gutachten vom 20. Februar 2002 kam der Nervenarzt Dr. D zu dem Ergebnis, dass ein Zusammenhang der Impfung mit der infantilen spastischen Cerebralparese zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich sei. Dieser Einschätzungen folgend lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 5. September 2002 den Antrag auf Versorgung wegen eines Impfschadens ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Auf der Grundlage der Stellungnahme der Nervenärztin Dr. M vom 25. Juli 2003 wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. August 2003 zurück.
Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Das Sozialgericht hat neben diversen medizinischen Unterlagen das Gutachten des Prof. Dr. K vom 2. Januar 2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 14. Juni 2005 eingeholt, der die Auffassung vertreten hat, es spreche mehr dafür als dagegen, dass die perinatale Asphyxie zu einem leichten bis mäßigen Hirnschaden geführt habe, jedoch nicht zu der schweren neurologischen Symptomatik, die sich ab Mai 1986 gezeigt habe. Der größere Anteil der Cerebralparese (mindestens zwei Drittel) sei als Impfschadensfolge einzuordnen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei mit 65 v.H. anzusetzen.
Der Beklagte hat das nach Aktenlage erstattete Gutachten des Prof. Dr. S vom 21. Februar 2006 mit ergänzender Stellungnahme vom 27. Februar 2006 vorgelegt, der die Ansicht vertreten hat, dass das Krankheitsbild des Klägers plausibel auf die perinatale Sauerstoffmangelsituation zurückgeführt werden könne. Eine ursächliche oder mitursächliche Rolle der Dreifachimpfung sei höchst unwahrscheinlich.
In dem vom Gericht eingeholten Gutachten vom 27. November 2006 ist Prof. Dr. D zu dem Ergebnis gelangt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Verursachung der bei dem Kläger vorliegenden Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung und leichter Sprachbehinderung durch die perinatale Asphyxie bestehe, jedoch keine Wahrscheinlichkeit für eine zusätzliche Impfschädigung.
Mit Urteil vom 10. Mai 2007 hat das Sozialgericht den Beklagten verpflichtet, dem Kläger wegen der Impfung vom 17. April 1986 unter Anerkennung der Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung und leichter Sprachbehinderung als Impfschadensfolge ab April 2001 Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 65 v.H. zu gewähren: Prof. Dr. K habe nachvollziehbar begründet, dass bei dem Kläger eine zentralnervöse Lähmung bzw. Encephalopathie vorgefallen sei, die durch ein vaskuläres Immunkomplexgeschehen hervorgerufen worden sei. Die Einwände des Prof. Dr. S überzeugten nicht, da er sich allein darauf berufe, dass die Encephalopathie nicht in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit genannt sei. Gleiches gelte für die Ausführungen des Prof. Dr. D, der lediglich angebe, dass die dargestellten Symptome eine akute entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems nicht stützten, ohne dies näher zu begründen.
Zwischen der Impfung und der unüblichen Impfreaktion bestehe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang. Dem Gutachten des...