Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Beantragung durch juristische Person des Privatrechts. Veröffentlichung von Me-Too-Listen. Bewertung des therapeutischen Nutzens durch Kassenärztliche Vereinigungen. Arzneimittelvereinbarung. Bindung durch Rahmenvorgaben
Orientierungssatz
1. Wird durch eine juristische Person des Privatrechts einstweiligen Rechtsschutz begehrt, kommt es hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit eine wesentliche Beeinträchtigung im Sinne des § 86 Abs 2 SGG droht, auf deren Situation an. Die Einbindung dieser juristischen Person (zB GmbH oder KG) in einen global operierenden Großkonzern ist insoweit irrelevant. Hingegen ist im Fall einer Zweigniederlassung (§§ 13ff HGB) maßgebend, welche Beeinträchtigung der Hauptniederlassung droht.
2. Die Veröffentlichung von Me-Too-Listen mit dem Ziel der Steuerung des vertragsärztlichen Verordnungsverhaltens wird von § 84 Abs 1 SGB 5 gedeckt.
3. Die Bewertung eines Medikamentes bezüglich des therapeutischen Nutzens als Me-Too-Präparat durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) auf der Grundlage der mit den Landesverbänden der Krankenkassen geschlossenen Arzneimittelvereinbarungen wird nicht durch § 35b SGB 5 ausgeschlossen.
4. Die Rahmenvorgaben zu Arzneimittelvereinbarungen nach § 84 Abs 7 SGB 5 binden nur insoweit, als sie Regelungen enthalten. Fehlt es daran, tritt eine Bindung nicht ein.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.09.2006 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 300.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Streitig ist, ob die Antragsgegnerin zu 1) das von der Antragstellerin vertriebene Fertigarzneimittel Fraxiparin auf einer im Internet zugänglichen Me-Too-Liste führen und diese Liste den Vertragsärzten ihres Bezirks zugänglich machen darf.
Der Begriff Me-Too-Präparat (Synonyme: Analogpräparat bzw. Scheininnovation) wird seit ca. 1982 zur Bewertung von Arzneimitteln verwandt, die zwar einen neuen Wirkstoff enthalten, dieser jedoch dem Wirkstoff bereits zugelassener Medikamente sehr ähnlich ist. Zur Bewertung des Innovationsgrades von Arzneimitteln ist das folgende, seit 1982 unveränderte Klassifikationsschema entwickelt worden:
A. Neuartige Wirkstoffe oder neuartige Wirkprinzipien mit therapeutischer Relevanz;
B. Verbesserung pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer Qualitäten bereits bekannter Wirkprinzipien;
C. Analogpräparate mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu bereits eingeführten Präparaten;
D. Eingeschränkter therapeutischer Wert bzw. nicht ausreichend gesicherte Therapieprinzipien.
Am 21.11.2005 schlossen die Antragsgegner eine "Vereinbarung über das Arznei- und Verbandmittelausgabenvolumen für das Kalenderjahr 2006" (Rheinisches Ärzteblatt 1/2006, 82 ff). Diese Vereinbarung trat am 01.01.2006 in Kraft und galt bis zum 31.12.2006. Hiernach wurde das Ausgabenvolumen auf 2,68 Mrd. EUR festgelegt (§ 2). Eine flankierende Zielvereinbarung sah die Erhöhung des durch den jeweiligen Vertragsarzt verursachten arztgruppenbezogenen Versorgungsanteils des Brutto-Generikaumsatzes am generikafähigen Markt um 5 Prozentpunkte und die Reduzierung des durch den jeweiligen Vertragsarzt verursachten arztgruppenbezogenen Versorgungsanteils der Me-Too-Präparate ohne relevanten höheren therapeutischen Nutzen, aber mit höheren Kosten, am Gesamtmarkt um wiederum 5 Prozentpunkte vor (§ 4). Für die einzelne Arztgruppen wurde ein Zielwert von 73, 1 % (Nervenärzte) bis zu 87,9 % (HNO-Ärzte) bei den Generika (§ 4 Abs. 1) und von 1,0 % (Chirurgen, Kinderärzte) bis zu 14,3 % (Augenärzte) bei den Me-Too-Präparaten (§ 4 Abs. 2) bestimmt. Ergänzend regelte § 7 Maßnahmen für den Fall, dass das vereinbarte Ausgabenvolumen und/oder die Vorgaben der Zielvereinbarung überschritten werden wie folgt:
(1) Eine individuelle Verantwortlichkeit des einzelnen Vertragsarztes für die Überschreitung des vereinbarten Ausgabenvolumens 2006 tritt ein, wenn das vereinbarte Ausgabenvolumen insgesamt überschritten wird und
- der einzelne Vertragsarzt sein für das Kalenderjahr 2006 maßgebliches Richtgrößenvolumen überschritten hat und
- der einzelne Vertragsarzt mindestens einen der nach § 4 vereinbarten Zielwerte nicht erreicht hat. Eine Saldierung zwischen den einzelnen Zielwerten findet nicht statt.
(2) Im Falle des Absatzes 1 erhalten die nordrheinischen Krankenkassen/-verbände gegenüber den einzelnen Vertragsärzten jeweils einen Zielerreichungsbeitrag in Höhe von vier Prozent des für das Kalenderjahr 2006 für den jeweiligen Vertragsarzt anerkannten GKV-Gesamthonorars.
Dieser Abzug musste im Abrechnungsbescheid gesondert ausgewiesen sein (§ 11 Abs. 1c des Honorarverteilungsvertrages (HVV) vom 31.01.2006, Rheinisches Ärzteblatt 1/2006, 68, 69). Einreden aufgrund von Ergebnissen der Bewertung hinsichtlich der Ursachen der Überschreitung des Ausgabenvolumens 2006 gegen den Bestand von Ansprüchen der Krankenkassen nach...