Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der vorschussweisen Eigenbeteiligung des Versicherten bei kieferorthopädischen Maßnahmen
Orientierungssatz
1. Versicherte leisten nach § 29 Abs. 2 SGB 5 zu der kieferorthopädischen Behandlung nach Abs. 1 einen Anteil in Höhe von 20 % der Kosten an den Vertragszahnarzt. Wenn die Behandlung abgeschlossen ist, zahlt die Kasse den von den Versicherten geleisteten Anteil an die Versicherten zurück.
2. Die vorschussweise Eigenbeteiligung der Versicherten ist verfassungsgemäß. Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Im übrigen handelt es sich nicht um eine endgültige, sondern lediglich um eine vorschussweise Kostentragungspflicht.
3. Anders als durch eine vorschussweise Eigenbeteiligung des Versicherten lässt sich im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck nicht sicherstellen, dass der Erfolg der kostenaufwändigen kieferorthopädischen Maßnahmen eintritt.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die 1996 geborene Klägerin für ihre kieferorthopädische Behandlung zunächst mit einem Eigenanteil in Höhe von 20 Prozent der berücksichtigungsfähigen Kosten je Quartal in Vorleistung zu gehen hat.
Mit Schreiben vom 06.11.2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin, die bei dieser familienversichert ist, eine kieferorthopädische Behandlung, deren Kosten sich laut Behandlungsplan vom 22.10.2008 voraussichtlich auf 3.025,18 Euro belaufen werden. In dem an den Vater der Klägerin gerichteten Schreiben heißt es weiter: "Es ist vorgesehen, dass Sie zunächst einen Eigenanteil in Höhe von 20 Prozent direkt an die Praxis zahlen. Dieser Eigenanteil soll ein Anreiz für Sie und Ihre Tochter K sein, die oft lange und vielleicht nicht immer einfache Zeit der kieferorthopädischen Behandlung erfolgreich zu meistern. Sie erhalten von Ihrer kieferorthopädischen Praxis jedes Quartal eine Rechnung über Ihren Eigenanteil. Bitte bewahren Sie diese sorgfältig auf, denn sobald die Praxis den erfolgreichen Abschluss der Behandlung bestätigt, zahlen wir Ihren Eigenanteil zurück."
Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch machte der Vater der Klägerin geltend, er könne die Vorleistung des Eigenanteils als Vater von drei Kindern finanziell nicht verkraften, und beantragte im Wege einer Härtefallentscheidung, seine Tochter von der Vorleistungsverpflichtung freizustellen. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.2009 als unbegründet zurück und erläuterte, anders als z. B. bei Zuzahlungen zu Arzneimitteln (§ 61, 62 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch [SGB V]) sei eine Befreiung von den zunächst an den Vertragszahnarzt zu leistenden Eigenanteilen während der kieferorthopädischen Behandlung gesetzlich nicht vorgesehen, vgl. § 29 Abs. 2 SGB V. Eventuell komme eine Übernahme der Kosten durch andere Sozialleistungsträger in Betracht. Es sei auch denkbar, dass die Klägerin eine Abtretung ihres Rückzahlungsanspruchs aus § 29 Abs. 3 S. 2 SGB V gegen sie, die Beklagte, bzgl. der Eigenanteile an den behandelnden Kieferorthopäden vornehme und dadurch von laufenden Zahlungsforderungen freigestellt werde. Mit der Regelung, den 20-prozentigen Eigenanteil erst nach dem erfolgreichen Abschluss der Behandlung zu erstatten, habe der Gesetzgeber dem vorzeitigen Abbruch der Behandlung vorbeugen wollen. Die Regelung des § 29 SGB V sei für alle Krankenkassen zwingend. Sie, die Beklagte, sei daher nicht berechtigt, den vorläufigen Eigenanteil vor Behandlungsabschluss zu übernehmen, auch nicht in Härtefällen oder vorschussweise. Zur weiteren Begründung bezog sich die Beklagte auf ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin vom 29.05.1991 (Az: L 5 KR 13/90). Um die Behandlung nicht zu gefährden, sei gegebenenfalls der zuständige Sozialhilfeträger verpflichtet, diese Kosten zu tragen. Eine Berücksichtigung des Eigenanteils für die kieferorthopädische Behandlung im Rahmen der nach § 62 SGB V geltenden Belastungsgrenze für die Zuzahlungsbefreiung könne jedenfalls nicht erfolgen, da es sich bei dem Eigenanteil nicht um eine Zuzahlung im Sinne der §§ 61, 62 SGB V handele.
Mit der am 25.05.2009 zum Sozialgericht (SG) Duisburg erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, trotz der im Übrigen gegebenen Zuzahlungsbefreiung sehe sich ihre Familie durch die Vorleistungspflicht für die Eigenanteile der kieferorthopädischen Behandlung überproportional und unverhältnismäßig belastet. In ihrem Fall habe daher die Krankenkasse die kieferorthopädische Behandlung von Beginn an zu 100 Prozent zu übernehmen, zumal sie selbst über keinerlei Einkommen verfüge. Das von der Beklagten zitierte Urteil, das noch unter der Geltung des B...