Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsanspruch der Bundesagentur für Arbeit. rückwirkende Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Kenntnis des Arbeitslosengeldbezuges. Erfüllungsfiktion. keine Erstattungspflicht des Arbeitslosen
Leitsatz (amtlich)
1. Bei rückwirkender Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung kann die Bundesagentur für Arbeit einen Anspruch auf Erstattung von Arbeitslosengeld nach § 125 Abs 3 S 2 SGB 3 (ggfs über § 142 Abs 2 S 2 SGB 3) gegenüber dem Arbeitslosen geltend machen, wenn der Rentenversicherungsträger keine Kenntnis von der Bewilligung von Arbeitslosengeld hatte.
2. War dem Rentenversicherungsträger die Gewährung von Arbeitslosengeld durch die Bundesagentur für Arbeit bekannt, steht die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB 10 einem Erstattungsanspruch gegenüber dem Arbeitslosen entgegen. Dies schließt auch eine Rücknahme oder Aufhebung nach den §§ 45, 48 SGB 10 aus. Der Bundesagentur für Arbeit steht kein Wahlrecht dahingehend zu, auf einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Rentenversicherungsträger zu verzichten und sich stattdessen an den Arbeitslosen zu halten.
Normenkette
SGB III § 125 Abs. 1, 3 S. 2, § 142 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 S. 2; SGB X §§ 107, 45, 48; SGG § 75 Abs. 2
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 02.02.2011 - S 10 AL 199/09 - sowie der Bescheid der Beklagten vom 23.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2009 aufgehoben.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für den Zeitraum vom 27.03. bis 20.11.2008 und die Erstattung von Leistungen.
Die 1962 geborene Klägerin war von 1997 bis zur Kündigung durch den Arbeitgeber zum 31.01.2007 versicherungspflichtig beschäftigt. Seit September 2006 war sie wegen Krankheit arbeitsunfähig erkrankt und bezog von der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) Krankengeld vom 08.11.2006 bis zur Aussteuerung mit Ablauf des 26.03.2008. Sie meldete sich am 22.02.2008 arbeitslos und gab im Antrag auf Gewährung von Alg vom 28.03.2008 an, bei einer ärztlichen Begutachtung bereit zu sein, sich im Rahmen des festgestellten Leistungsvermögens für die Vermittlung zur Verfügung zu stellen. Außerdem bestätigte sie durch ihre Unterschrift, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten zu haben. Die Beklagte bewilligte ihr Alg ab dem 27.03.2008 nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 109,54 € in Höhe von 38,37 € (Bescheide von April und Mai 2008).
Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch Dr. B vom Ärztlichen Dienst, der am 04.04.2008 von einer voraussichtlich auf Dauer aufgehobenen Leistungsfähigkeit der Klägerin ausging. Daraufhin forderte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 02.06.2008 zur Stellung eines Antrags zur Durchführung von Rehabilitationsleistungen bei dem Rentenversicherungsträger auf. In diesem Schreiben wies die Beklagte darauf hin, dass sie einen Erstattungsanspruch bis zur Höhe des geleisteten Alg gegen den Rentenversicherungsträger habe, wenn dieser rückwirkend Übergangsgeld oder Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkenne. Die Klägerin stellte am 29.06.2008 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Rehabilitationsleistungen. Mit Schreiben vom 02.07.2008 leitete die Beklagte diesen Antrag sowie das Gutachten des Ärztlichen Dienstes an die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) weiter - dort am 02.09.2008 eingegangen (Eingangsstempel DRV Servicedezernat und Namensstempel D G ) -, meldete in diesem Schreiben einen Erstattungsanspruch an und bat die DRV um Mitteilung über Beginn und Höhe der Rente vor Auszahlung an die Klägerin.
Mit Bescheid vom 20.10.2008 bewilligte die DRV der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.10.2007 und einem Beginn der laufenden Zahlungen ab 01.12.2008 in Höhe von monatlich 554,17 €. Die Nachzahlung in Höhe von 7.717,61 € für den Zeitraum vom 01.10.2007 bis 30.11.2008 werde zunächst einbehalten. Die DRV teilte der Klägerin am 07.11.2008 mit, dass von der Rentennachzahlung 3.209,19 € zur Erfüllung eines Erstattungsanspruchs an die KKH überwiesen worden sei und dass der Betrag von 4.508,42 € an sie gezahlt werde.
Nachdem die DRV der Beklagten mit Schreiben vom 27.10.2008 mitteilte, dass der Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zurückgenommen worden sei, da an der Weiterbearbeitung kein Interesse mehr bestehe, stellte die Beklagte die Zahlung von Alg ab dem 21.11.2008 ein. Mit Bescheid vom 18.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2009 hob sie die Entscheidung über die Bewilligung von Alg ab 21.11.2008 auf. Die Klägerin sei nicht mehr verfügbar.
Die Beklagte forderte am 16.12.2008 bei der DRV eine Mitteilung über die Rentenbewilligung an und wies darauf hin, dass für die Zeit des Bezugs von Alg ein Erstattungsanspruch geltend gemacht werde. Die DRV gab im Schreiben vom 30.01....