Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz gem § 2 Abs 1 Nr 14 Buchst a SGB 7. besondere Meldepflicht: erstmalige Arbeitsuchendmeldung gem § 38 Abs 1 S 2 SGB 3. Aufforderung. Aufsuchen. Bundesagentur für Arbeit. Agentur für Arbeit. Empfängerhorizont. Vermittlungsgespräch im Wege des Sofortzugangs. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz
Leitsatz (amtlich)
1. Auch die Meldepflicht des § 38 Abs 1 S 2 SGB III wird von § 2 Abs 1 Nr 14a SGB VII erfasst.
2. Veranlasst die Agentur für Arbeit anlässlich der Arbeitslosmeldung ein Verbleiben des Arbeitsuchenden für ein anschließendes Vermittlungsgespräch (Sofortzugang), steht dieser von da an gem § 2 Abs 1 Nr 14a SGB VII unter Versicherungsschutz.
Nachgehend
Tenor
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 22. Juni 2015 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2014 werden aufgehoben. Das Ereignis vom 3. Februar 2014 wird als Arbeitsunfall festgestellt.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Vorverfahren sowie für beide Rechtszüge.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Feststellung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.
Die 1964 geborene Klägerin begab sich am 3. Februar 2014 zur Agentur für Arbeit (AA) M... um ihre am 31. Januar 2014 (mit Wirkung zum 14. Februar 2014) ausgesprochene Kündigung anzuzeigen und sich arbeitslos zu melden. Als sie gegen 11:15 Uhr das Dienstgebäude der AA auf dem Weg nach Hause verließ, wurde sie beim Überqueren einer Straße von einem Pkw angefahren. Hierbei erlitt die Klägerin nach dem Bericht des Städtischen Klinikums M... vom 12. März 2014, in dem sie sich vom 3. bis 19. Februar 2014 stationär befand, eine proximale Tibiafraktur mit Gelenkbeteiligung rechts, ein Schädel-Hirn-Trauma Grad I sowie multiple Prellungen.
Auf entsprechende Anfrage der Beklagten teilte die AA unter dem 9. April 2014 mit, die Klägerin habe sich am 3. Februar 2014 gemäß § 38 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) als arbeitsuchend gemeldet. Leistungen nach dem SGB III habe sie zu diesem Zeitpunkt nicht bezogen. Einer Weisung, Aufforderung, Bitte oder Empfehlung einer Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen, sei die Klägerin nicht nachgekommen.
Mit Bescheid vom 22. April 2014 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 3. Februar 2014 als Arbeitsunfall ab, da für die Klägerin zum Unfallzeitpunkt kein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 14a) Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) bestanden habe. Der Rückweg von der erstmaligen Arbeitslosmeldung nach Hause sei eine eigenwirtschaftliche Verrichtung und stehe damit nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Hiergegen erhob die Klägerin am 5. Mai 2014 Widerspruch und trug vor, mit ihrer persönlichen Meldung als arbeitslos sei sie ihrer Verpflichtung aus § 38 Abs. 1 SGB III nachgekommen und habe zugleich einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bestehe ab diesem Zeitpunkt Unfallversicherungsschutz (Urteil vom 11. September 2001 - B 2 U 5/01 R - SozR 32700 § 2 Nr. 3).
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2014 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 30. Oktober 2014 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Magdeburg unter Vertiefung ihres Vorbringens Klage erhoben. Sie habe im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 14a) SGB VII der Meldepflicht unterlegen. Denn die Verpflichtung aus den §§ 38 Abs. 1, 141 Abs. 1 SGB III treffe auch Personen, die von Arbeitslosigkeit bedroht seien. Im Rahmen der Registrierung bei der AA seien ihr mehrere Unterlagen übergeben worden. Im Anschluss habe ein Vermittlungsgespräch stattgefunden. Die Zuführung zur Vermittlung stelle sich als Aufforderung dar, zur Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stehen (BSG, Urteil vom 6. Dezember 1994 - 2 RU 4/94 - SozR 3-2200 § 539 Nr. 32). Der Meldung bei der AA wäre eine weitere Vorstellung wegen eines Vermittlungsgesprächs gefolgt. Ein solches sei hier direkt erfolgt, so dass der unfallbringende Weg unter Versicherungsschutz gestanden habe.
Die Beklagte ist bei ihrer Ansicht geblieben.
Mit Gerichtsbescheid vom 22. Juni 2015 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Ein Arbeitsunfall liege nicht vor, weil die Klägerin zum Unfallzeitpunkt nicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 14a) SGB VII unter Unfallversicherungsschutz gestanden habe. Denn nicht versichert sei insoweit die erstmalige Arbeitslosmeldung, so dass Personen, die sich - wie die Klägerin - entsprechend ihrer aus § 37b SGB III (in der bis zum 31. Dezember 2008 gültigen Fassung) resultierenden Verpflichtung frühzeitig arbeitslos meldeten, nicht erfasst seien. Im Unterschied zu dem Sachverhalt im Urteil des BSG vom 11. September 2001 (s.o.) fehle...