Zwar Dokument ...: Letztendlich muss man den EuGH nun wohl so verstehen, dass der Steuerpflichtige zwar seiner Auffassung nach für den Vorsteuerabzug bzw. den Antrag auf Vorsteuervergütung ein Rechnungsdokument benötigt. Bei der Frage, wie dieses auszusehen hat, ist er allerdings relativ kulant.

Rechnungen sind alle auf Papier oder elektronisch vorliegenden Dokumente oder Mitteilungen (Art. 218 MwStSystRL). Einer Rechnung gleichgestellt ist jedes Dokument und jede Mitteilung, das/die die ursprüngliche Rechnung ändert und spezifisch und eindeutig auf diese bezogen ist (Art. 219 MwStSystRL). Eine Rechnung muss also nicht aus einem einzigen Dokument bestehen (so auch § 31 Abs. 1 Satz 1 UStDV).

... aber ohne Formalvorgaben: Kann also ein Steuerpflichtiger verschiedene Dokumente vorlegen (nach dem Vădan-Urteil sind sogar Unterlagen umfasst, die sich im Besitz der Lieferanten befinden), aus denen sich insgesamt, die für die Begründung des materiell-rechtlichen Anspruchs erforderlichen Informationen ergeben, reicht das aus ("Gesamtdokument"). Fehlen einzelne Angaben, die aber für die Darlegung des materiell-rechtlichen Anspruchs (Vorsteuerabzug, Erstattungsantrag) unbeachtlich sind, liegt gleichwohl eine Rechnung vor. Das Gesamtdokument darf nur dann nicht als Rechnung in diesem Sinne angesehen werden, wenn es so fehlerhaft ist, dass den Finanzbehörden die erforderlichen Angaben für die Beurteilung des materiell-rechtlichen Anspruchs fehlen.

"Gesamtdokument": Ergeben sich folglich die für die Begründung des Vorsteuerabzugs/Erstattungsantrags notwendigen Angaben z.B. aus dem Lieferschein, dem Vertrag, vorhergehender Korrespondenz, dem Auftrag, der Bestellung, Zahlungsnachweisen etc., liegt eine Rechnung (Gesamtdokument) im Sinne des Mehrwertsteuerrechts vor, die von der Finanzverwaltung anzuerkennen ist. Nicht erforderlich ist, dass ein Dokument vorliegt, das alle Angaben enthält und das mit der Bezeichnung "Rechnung" überschrieben ist.[35] Im deutschen Rechtskreis kennt man das bereits (mit Abweichungen) von Verträgen, die – gemeinsam mit anderen Unterlagen – als Rechnungen akzeptiert werden.[36]

Objektivnachweis durch Dokumente: Die objektiven Nachweise, von denen der EuGH im Vădan-Urteil gesprochen hat,[37] müssen also offenbar in Form von Dokumenten vorliegen. Nicht ausreichend wäre demzufolge ein Nachweis der entsprechenden Voraussetzungen z.B. durch Zeugenaussage.[38]

So auch UStDV (unionsrechtskonform gelesen): Das stellt im Grunde genommen noch nicht einmal eine wesentliche Änderung der deutschen Rechtslage dar, weil eine Rechnung auch gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 UStDV aus mehreren Dokumenten bestehen kann, aus denen sich die nach § 14 Abs. 4 UStG geforderten Angaben insgesamt ergeben. Dass gem. § 31 Abs. 1 Satz 2 UStDV in einem dieser Dokumente das Entgelt und der darauf entfallende Steuerbetrag jeweils zusammengefasst anzugeben und alle anderen Dokumente zu bezeichnen sind, aus denen sich die übrigen Angaben nach § 14 Abs. 4 des Gesetzes ergeben, ist deutsche Rechtsschöpfung. Aus dem Unionsrecht ergeben sich solche Vorgaben, wie das vorliegende Urteil vom 21.10.2021 noch einmal zeigt, nicht.[39]

Ausblick: Die Ansicht des EuGH mag dem einen oder anderen nach wie vor recht progressiv erscheinen. Es sei aber daran erinnert, dass es bis vor wenigen Jahren auch noch völlig undenkbar erschien, fehlende Rechnungsangaben durch Zusatzinformationen bzw. rückwirkend zu ergänzen. Der Vorsteuerabzug wurde z.B. allein wegen des Fehlens einer Steuernummer oder wegen einer ungenauen Leistungsbeschreibung[40] versagt. Diese Rechtspraxis ist nach den entsprechenden Urteilen des EuGH und des BFH[41] unstreitig überholt und so dürfte sich die Rechtsprechung des EuGH zum Rechnungsbegriff, die sich im vorliegenden Urteil vom 21.10.2021 noch einmal dokumentiert, mit der Zeit auch in der nationalen Rechtsprechung bzw. den Verwaltungsanweisungen etablieren.

[35] Der EuGH sprach in dem Urt. v. 15.9.2016 (EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14 – Barlis, UR 2016, 795 Rz. 44) von einer "Rechnung" und weiteren Informationen, die zu berücksichtigen seien. Die Erwähnung des Begriffs "Rechnung" war dem Umstand geschuldet, dass dies der Sachverhalt war, über den er zu entscheiden hatte. Wie sich aus dem vorliegenden Urteil vom 21.10.2021 und den anderen in Bezug genommenen Urteilen ergibt, muss die Finanzverwaltung natürlich aber auch dann alle beigebrachten Informationen berücksichtigen, wenn es sich nicht um ein als "Rechnung" bezeichnetes Dokument und weitere Informationen handelt, sondern um Dokumente, die in ihrer Gesamtheit als Rechnung angesehen werden können.
[36] Vgl. Abschn. 14.1. Abs. 2 UStAE.
[37] Zum Objektivnachweis s. auch Widmann, UR 2017, 18 (22).
[38] Ähnlich zum Nachweis bei i.g. Lieferungen BFH v. 19.3.2015 – V R 14/14, UR 2015, 719. Hingegen kann die Schätzung in einem von einem nationalen Gericht angeordneten Sachverständigengutachten die Nachweise gegebenenfalls ergänzen; vgl. EuGH v. 21.11.2018 – C-664/16 – Vădan, UR 2018, 962 Rz. 45.
[39]...

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