Fehlendes Problembewusstsein: Haftung nach Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter? Eine andere Frage ist die, ob der Steuerberater gegenüber der Geschäftsführung einer GmbH wegen bei dieser nach § 64 GmbHG a.F./§ 15b InsO eingetretener Schäden auch dann nach den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter haftet, wenn z.B. über Jahre hinweg eine fehlerhafte Bilanzierung bei der GmbH vorgenommen wurde und so eine Krisen-/Insolvenzgefahr überhaupt nicht gesehen wurde – mithin überhaupt kein Problembewusstsein bestanden hat.
Solche Fälle können etwa dann eintreten, wenn Warenbestände, Rückstellungen etc. über einen längeren Zeitraum fehlerhaft bewertet worden sind.
Wer ist für fehlerhafte Bewertung verantwortlich? Die Frage, wer für die fehlerhafte Bewertung verantwortlich ist, ist meistens schwer zu beantworten.
In der Regel ist der Steuerberater bei solchen Konstellationen auf Informationen der Geschäftsführung angewiesen. Teilweise wird von dieser die Bewertung selbst vorgenommen. Kommt es dann zur Insolvenz, und ist diese Insolvenz u.a. auf eine Bewertungsfrage zurückzuführen, prüfen Insolvenzverwalter häufig die Frage, ab wann erstmalig eine fehlerhafte Bewertung vorgelegen haben könnte. Zum Zeitpunkt der erstmaligen Bewertung hat in solchen Konstellationen aber regelmäßig – mangels Problembewusstseins –
- weder gegenüber der GmbH
- noch gegenüber der Geschäftsführung
eine insolvenzspezifische Beratung stattgefunden.
Der BGH hatte in seinem Urteil vom 14.6.2012 die Haftung des Steuerberaters gegenüber der Geschäftsführung nach den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter primär damit begründet, dass das Risiko einer Inanspruchnahme des GF einer GmbH wegen verspäteter Insolvenzantragstellung eine typische Begleiterscheinung einer fehlerhaften Bilanzierung in der Krisensituation darstelle.
In der Literatur ist daraus der m.E. zutreffende Rückschluss gezogen worden, dass Anknüpfungspunkt für die Haftung des Steuerberaters gegenüber dem GF
- nicht der eigentliche Steuerberatungsvertrag ist,
- sondern nur der Vertrag sein könne, der gerade die Prüfung der Insolvenzreife zum Gegenstand habe.
Für die Bejahung der Einbeziehung eines GF in den Schutzbereich des Vertrages müsse darauf abgestellt werden, dass ein Vertrag bestehen muss, "in dessen Rahmen es um die Warnung vor einer möglichen Insolvenzreife und die damit verbundene Prüfung der Zahlungsfähigkeit und Schuldendeckung der Gesellschaft gehe".
Das OLG Köln hat in einer Entscheidung vom 12.8.2021 diese Argumentation bei der Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts durch den GF einer insolventen GmbH aufgegriffen und zunächst nochmals klargestellt, dass Voraussetzung für die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des Anwaltsvertrages sei, dass bereits bei Übernahme des Mandates die Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages erkennbar ist. Für das Haftungsrisiko von GmbH-GF gem. § 64 GmbHG a.F. gelte
- dies nur, wenn das Mandat sich explizit auf eine insolvenzrechtliche Beratung beziehe,
- nicht aber, wenn im Rahmen eines anderen Mandates Anhaltspunkte für eine Insolvenzgefahr auftreten und deshalb die Nebenpflicht besteht, die Mandantin darauf hinzuweisen.
Beachten Sie: Das Urteil ist zur Haftung eines Rechtsanwalts ergangen. Die Grundzüge lassen sich aber auch auf die Haftung eines Steuerberaters übertragen.
Übernahme von sich aus sich aus § 64 GmbHG a.F./§ 15b InsO ergebenden Haftungsrisiken? Es muss immer die Frage gestellt werden, ob der die GmbH beratende Steuerberater im Zusammenhang mit der Jahresabschlusserstellung, bei der sich keine Insolvenzgefahr zeigt, Haftungsrisiken übernehmen will/muss, die sich aus § 64 GmbHG a.F./§ 15b InsO ergeben. Diese Frage stellt sich insbesondere deshalb, weil
- zum einen § 64 GmbHG a.F./§ 15b InsO primär das Interesse der Gesellschaft gar nicht tangiert, sondern es sich materiell um eine Haftung im Interesse der Gesamtheit aller Gläubiger der Gesellschaft handelt.
- Zum anderen ist die Frage deshalb relevant, weil das Haftungskonzept von § 64 GmbHG a.F./§ 15b InsO sich auf sämtliche masseschmälernden Vermögensleistungen aus dem Gesellschaftsvermögen bezieht – unabhängig davon, ob sie einen steuerlichen Bezug haben.
Eigene Stellungnahme: M.E. muss sich der Steuerberater bei der Jahresabschlusserstellung, bei der sich – möglicherweise auch zu Unrecht – keine Anhaltspunkte für eine Insolvenz ergeben, keine Gedanken darüber machen, ob und inwieweit ein GF für Zahlungen nach einer Insolvenzreife gem. § 64 GmbHG/§ 15b InsO in Anspruch genommen werden kann. Die Vermögensinteressen der Geschäftsführung, die über rein steuerliche Interessen hinausgehen und sich nicht offenkundig aufdrängen, muss der Steuerberater nicht beachten. Beachten Sie: Auch in der BGH-Entscheidung vom 13.10.2011 hatte der BGH eine Haftung des steuerlichen Beraters einer GmbH nach den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nur insoweit angenommen, als es um...