1 Systematische Einordnung
Die Maßnahmen im Rahmen des Projekts "Base Erosion and Profit Shifting" (BEPS) haben bei der OECD zu einer Reihe von Änderungen im OECD-Musterabkommen und dessen Kommentierung geführt. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Empfehlung für die Ausgestaltung der DBA zwischen den Mitgliedstaaten und ggf. darüber hinaus, wenn sich diese denn gegenüber Drittstaaten durchsetzen lassen. Dies hat dazu geführt, dass die Frage beantwortet werden musste, wie diese Änderungen in die bereits geltenden DBA implementiert werden sollen. Der übliche Weg wäre, die jeweiligen DBA zu kündigen und durch ein neu verhandeltes Abkommen zu ersetzen. Insbesondere für die Länder, die über eine große Zahl von Abkommen verfügen, wäre hiermit eine lange Übergangsphase verbunden. Diese wurde steuerpolitisch nicht als sachgerecht angesehen und deshalb ein anderer Weg für die Implementierung gewählt. Hierzu dient das Multilaterale Instrument (oder kurz: MLI = "Mehrseitige Übereinkommen vom 24.11.2016 zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung"). Das MLI ist ein mehrseitiger völkerrechtlicher Vertrag zur Modifikation bestehender DBA, durch welchen der langwierige Prozess der Verhandlung einer Vielzahl bilateraler DBA vermieden werden soll.
2 Inhalt
Das MLI wurde von der OECD im November 2016 in der Folge des Aktionspunktes 15 des BEPS-Aktionsplans veröffentlicht. Am 7.6.2017 erfolgte die Unterzeichnung des MLI durch die ersten 69 Signatarstaaten in Paris. Es dient der Umsetzung zahlreicher Maßnahmen aus anderen Aktionspunkten, namentlich der Maßnahmen gegen hybride Gestaltungen (BEPS-Aktionsplan 2), gegen Abkommensmissbrauch (BEPS-Aktionsplan 6), gegen die künstliche Vermeidung von Betriebsstätten (BEPS-Aktionsplan 7) und für die Verbesserung der Verwaltungszusammenarbeit in Verständigungs- und Schiedsverfahren (BEPS-Aktionsplan 14). Um eine möglichst große Zahl an Staaten zur Unterzeichnung zu bewegen, wurden weitgehende Wahlmöglichkeiten eingeräumt, welche Inhalte des MLI im jeweiligen bilateralen Verhältnis zur Anwendung kommen sollen. Gleichermaßen sollte eine gewisse Verbindlichkeit hergestellt werden, weshalb einige Inhalte des MLI als sog. Mindeststandards deklariert wurden.
Insgesamt enthält das MLI 39 Artikel, die sich wie folgt in sieben Teilbereiche gliedern:
- Teil I: Geltungsbereich und Auslegung von Ausdrücken (Art. 1–2 MLI);
- Teil II: Hybride Gestaltungen (Art. 3–5 MLI);
- Teil III: Abkommensmissbrauch (Art. 6–11 MLI);
- Teil IV: Umgehung des Betriebsstättenstatus (Art. 12–15 MLI);
- Teil V: Verbesserung der Streitbeilegung (Art. 16–17 MLI);
- Teil VI: Schiedsverfahren (Art. 18–26 MLI);
- Teil VII: Schlussbestimmungen (Art. 27–39 MLI).
Die Vertragsparteien können durch Vorbehalte einzelne Elemente des MLI ganz oder teilweise abwählen. Dies hat zur Folge, dass es dann bei der bisherigen Regelung im jeweiligen DBA bleibt. In der Regel kann eine Vertragspartei des MLI einen Vorbehalt jedoch nur mit Wirkung für sämtliche ihrer DBA erklären, sodass es nicht möglich ist, nur einzelne DBA aus dem Anwendungsbereich einer Norm auszunehmen. Dieser Grundsatz wird jedoch durch einige Ausnahmen durchbrochen. Wird ein Vorbehalt erklärt, ist dieser selbst dann zu beachten, wenn ein anderer Vertragsstaat keinen solchen Vorbehalt gegen eine Anwendung dieser Norm angemeldet hat. Durch die Möglichkeit von Optionen können auch solche Regelungen durch das MLI umgesetzt werden, die nicht als zwingende Bestandteile deklariert wurden. Mit Notifikationsklauseln werden die Vertragsparteien des MLI verpflichtet, entsprechend ihrer getroffenen Wahl hinsichtlich der Vorbehalte und Optionen bestimmte Vorschriften ihrer DBA zu benennen, damit aus diesen Notifikationen im Zusammenspiel mit den gewählten Vorbehalten und Optionen abgeleitet werden kann, inwieweit das MLI ein ganz konkretes DBA letztlich modifiziert.
3 Praxisfragen
Da es sich beim MLI um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt, muss es ähnlich wie auch DBA durch ein Zustimmungs- bzw. Umsetzungsgesetz i. S. d. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG in deutsches Recht transformiert werden, um innerstaatlich Rechtswirkung entfalten zu können. Diese Zustimmung ist durch das "Gesetz zu dem Mehrseitigen Übereinkommen vom 24.11.2016 zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung" vorgenommen worden. Damit ist der erste Schritt erfolgt. Anders als ursprünglich geplant, hat die Bundesrepublik Deutschland die Zahl der Abkommen, die durch das MLI geändert werden sollen, von ursprünglich 35 auf 14 gesenkt.
Um zu prüfen, in welcher Form künftig ein bilaterales Abkommen anwendbar ist, muss daher ein mehrstufiger Prozess durchlaufen werden:
- Ist das MLI in beiden Vertragsstaaten in Kraft getreten (ist die Ratifizierung erfolgt)?
- Ist das bilaterale DBA als erfasstes Steuerabkommen von beiden Staaten notifiziert worden?
- Sind die Vorschriften des MLI (zeitlich) anwendbar?
- Hat einer der beiden Vertragsstaaten einen Vorbehalt zu einem bestim...