Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
U ist Unternehmer, da er selbstständig, nachhaltig und mit Einnahmeerzielungsabsicht tätig ist; zu dem Rahmen seiner unternehmerischen Betätigung gehören die Lieferung der Fotoapparate sowie des Zubehörs.
Unternehmerische Betätigung gilt grenzüberschreitend
Die unternehmerische Tätigkeit ist nicht auf einen Staat begrenzt. Ist der Unternehmer unternehmerisch tätig, erstreckt sich seine Tätigkeit auf seine weltweiten Aktivitäten.
U führt Lieferungen aus, da er seinen Kunden Verfügungsmacht an den Gegenständen verschafft. Die Kunden wenden eine Gegenleistung auf, sodass auch jeweils ein Leistungsaustausch vorliegt.
Damit ein in Deutschland steuerbarer Umsatz vorliegt, muss der Ort der Lieferung im Inland sein. Die Festlegung des Orts der Lieferung erfolgt nach der in § 3 Abs. 5a UStG vorgegebenen Prüfungsreihenfolge. Danach ist zuerst zu prüfen, ob der Ort der Lieferung sich nach § 3c UStG richtet. Bis zum 30.6.2021 lagen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 3c UStG a. F. nicht vollständig vor, da U zwar die Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat versendete, die Abnehmer zu den Leistungsempfängern i. S. d. § 3c Abs. 2 UStG gehörten, U aber nicht die Lieferschwelle in Belgien und den Niederlanden überschritten hatte.
Kein Verzicht auf Anwendung der Lieferschwellenregelung sinnvoll
U konnte – jeweils individuell – auf die Anwendung der Lieferschwellenregelung verzichten. In diesem Fall hätte sich der Ort der Lieferung dorthin verlagert, wo sich die Gegenstände am Ende der Beförderung oder Versendung befinden. Die Lieferungen wären dann nicht in Deutschland steuerbar, würden aber zu steuerbaren und steuerpflichtigen Umsätzen in den Niederlanden bzw. in Belgien führen. Ein Verzicht ist sowohl wegen der dort geltenden höheren Steuersätze als auch wegen der damit dann zwingend in diesen Staaten notwendigen Veranlagung nicht sinnvoll.
Die bis zum 30.6.2021 nach Belgien oder in die Niederlande ausgeführten Versandlieferungen waren damit nach § 3 Abs. 6 UStG dort ausgeführt, wo die Warenbewegung jeweils begann, sodass die Lieferungen in Deutschland steuerbar waren. Da diese Lieferungen auch keiner Steuerbefreiung unterlagen – insbesondere kann bei einer Lieferung an Nichtunternehmer auch keine innergemeinschaftliche Lieferung vorliegen –, musste U für diese Lieferungen deutsche Umsatzsteuer anmelden und abführen.
Lieferung an den Kunden aus den Niederlanden
Für die Lieferung an Kunden aus den Niederlanden ist ab Juli 2021 die neue Vorschrift zu den innergemeinschaftlichen Fernverkäufen zu prüfen. U versendet die Ware aus Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat. Der Käufer ist auch ein Abnehmer, für den die Regelungen der innergemeinschaftlichen Fernverkäufe anzuwenden sind – im vorliegenden Fall ein Nichtunternehmer.
Leistungsempfänger tritt ohne gültige USt-IdNr. auf
In der Praxis wird sich die Anwendung des § 3c Abs. 1 UStG anhand der Verwendung einer gültigen USt-IdNr. entscheiden. Tritt der Käufer mit einer gültigen USt-IdNr. aus einem anderen Mitgliedstaat auf, hat dieser einen innergemeinschaftlichen Erwerb im Bestimmungsmitgliedstaat zu besteuern. In diesem Fall kommt es nicht zur Verlagerung des Orts der Lieferung in den Bestimmungsmitgliedstaat für den liefernden Unternehmer. Tritt der Leistungsempfänger mit einer gültigen USt-IdNr. aus einem anderen Mitgliedstaat auf, kommt es unter den weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 1 Buchst. b und § 6a UStG für den liefernden Unternehmer zu einem im Ursprungsmitgliedstaat steuerbaren aber als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfreien Umsatz.
Nur wenn der Leistungsempfänger ohne eine gültige USt-IdNr. aus einem anderen Mitgliedstaat auftritt, kann sich der Ort der Lieferung unter den weiteren Voraussetzungen in den anderen Mitgliedstaat verlagern.
U hat auch die für diese Lieferungen ab dem 1.7.2021 geltende unionseinheitliche summarische Umsatzschwelle (Bagatellgrenze) von 10.000 EURüberschritten, da U im Vorjahr (2020) für insgesamt 12.000 EUR an die in § 3c Abs. 1 Satz 3 UStG genannten Leistungsempfänger geliefert hatte. Die Ausnahme von der Rechtsfolge des § 3c Abs. 1 UStG kann damit nicht angewendet werden.
Prüfung der Umsatzschwelle 2021
Die Umsatzschwelle ist immer anhand der Umsätze des Vorjahrs und des laufenden Kalenderjahrs zu prüfen; dies gilt auch schon für die ab dem 1.7.2021 ausgeführten Umsätze. Da U in 2020 schon für mehr als 10.000 EUR an die in § 3c Abs. 1 Satz 3 UStG aufgeführten Abnehmer geliefert hatte, kommt es auf die Umsätze des ersten Halbjahrs 2021 nicht mehr an. Nur wenn U in 2020 nicht für mehr als 10.000 EUR an diese Abnehmer in anderen Mitgliedstaaten geliefert hätte, wäre zu prüfen, ob er bisher in 2021 diese Schwelle überschritten hat. Da U nach dem Sachverhalt in 2021 bisher nur für 3.000 EUR solche Warenlieferungen ausgeführt hat, hätte er die Umsatzschwelle nicht überschritten, sodass es dann zur Anwendung der Bagatellregelung des § 3c Abs. 4 UStG gekommen ...