Dipl.-Finanzwirt Christian Ollick
Leitsatz
Wer als Nachhilfelehrer "auf eigene Faust" Kinder unterrichtet, kann eine Umsatzsteuerbefreiung aus dem Gemeinschaftsrecht ableiten. Die nationale Regelung ist nach Auffassung des FG Hamburg zu streng gefasst. Zudem muss ein Nachhilfelehrer nicht unbedingt über einen Hochschulabschluss verfügen.
Sachverhalt
Eine staatlich geprüfte Erzieherin erteilte Lerntherapien und Nachhilfeunterricht an Schüler mit Lese-/Rechtschreib- und Rechenschwäche und trat dabei im Auftrag eines Instituts auf, demgegenüber sie ihre Leistungen später auch abrechnete. Daneben erteilte sie ihren Unterricht auch in Eigenregie - unabhängig vom Institut. Das Finanzamt behandelte sämtliche Umsätze aus der Nachhilfetätigkeit als umsatzsteuerpflichtig.
Entscheidung
Das FG urteilte, dass das Finanzamt die Umsätze nicht der Umsatzsteuer unterwerfen durfte.
Der für das Institut erteilte Unterricht führte zu umsatzsteuerfreien Umsätzen, da die Unterrichtsleistung unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck diente und von der Erzieherin als selbstständiger Lehrerin an einer allgemeinbildenden Einrichtung erbracht wurde (Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) Doppelbuchst. bb) i.V.m. Buchst. b) Doppelbuchst. bb) UStG). Die für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung erforderliche Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde, wonach die Einrichtung ordnungsgemäß auf einen Beruf bzw. eine staatliche Prüfung vorbereitet, lag vor. Zwar hatte die Sachbearbeiterin der Landesbehörde dem Finanzamt mitgeteilt, dass sie die Bescheinigung "heute nicht mehr als wirksam betrachten würde". Diese Äußerung wertete das FG allerdings nicht als Widerruf, sodass die Bescheinigung im Ergebnis wirksam blieb.
Das FG stufte auch die übrigen - unabhängig vom Institut erbrachten - Leistungen als umsatzsteuerfrei ein, griff dabei aber auf das Gemeinschaftsrecht zurück. Die (nationale) Umsatzsteuerbefreiung für Privatschulen und Bildungseinrichtungen (§ 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG) galt nicht, da die Erzieherin selbst über keine entsprechende Bescheinigung der Landesbehörde verfügte.
Auch eine Umsatzsteuerbefreiung für selbstständige Lehrer (§ 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG) war nicht anwendbar, da die Leistungen unmittelbar gegenüber den Nachhilfeschülern und nicht gegenüber einem Institut erbracht worden waren. Das FG war aber der Auffassung, dass diese nationale Vorschrift zu strenge Anforderungen an die Steuerbefreiung stellt, da die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nicht voraussetzen, dass die Unterrichtsleistung gegenüber einem Schulträger erbracht wird (Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL). Die Erzieherin konnte sich deshalb unmittelbar auf die Richtlinie berufen.
Hinweis
Das FG weist zudem darauf hin, dass das Gemeinschaftsrecht für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung keinen Hochschulabschluss und keine Lehramtsbefähigung vom Nachhilfelehrer fordert. Er muss nur über eine gewisse Mindestqualifikation verfügen, um seinen Unterricht erteilen zu können. Die Erzieherin war nach Ansicht des FG hinreichend qualifiziert, da sie eine ausgebildete Erzieherin war und zudem Zusatzausbildungen für Legasthenie- und Dyskalkuliebehandlungen absolviert hatte.
Link zur Entscheidung
FG Hamburg, Urteil vom 16.06.2011, 6 K 165/10