Leitsatz
1. Gibt der Steuerpflichtige aufgrund der unklaren Bescheinigung eines Versorgungswerks in seiner Einkommensteuererklärung Altersvorsorgeaufwendungen in einer Höhe an, die das Doppelte der tatsächlichen Aufwendungen beträgt, so ist das FA nach Kenntnisnahme von der tatsächlichen Höhe der Aufwendungen auch dann nicht durch die Grundsätze von Treu und Glauben an einer auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützten Änderung des Bescheids gehindert, wenn ihm seinerseits eine Verletzung von Ermittlungspflichten zur Last fällt, es die Angaben in der Steuererklärung also zum Anlass einer Nachfrage beim Steuerpflichtigen hätte nehmen müssen.
2. Im Anwendungsbereich der Grundsätze von Treu und Glauben kann ein Steuerpflichtiger seine verfahrensrechtliche Position nicht dadurch verbessern, dass er seine Steuererklärung durch einen Steuerberater fertigen lässt und dieser vorbereitende Tätigkeiten seinem Büropersonal überträgt.
3. Weil für die Feststellung einer leichtfertigen Steuerverkürzung auch die persönlichen Fähigkeiten der als Täter in Betracht kommenden Person maßgebend sind, muss das FG diese Person jedenfalls in Grenzfällen persönlich anhören, wenn sich nicht bereits aus dokumentierten Äußerungen, Urkunden oder sonstigen Indizien die Leichtfertigkeit eindeutig ergibt.
Normenkette
§ 169 Abs. 2 Satz 2, § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 378 Abs. 1 Satz 1 AO
Sachverhalt
Der Antragsteller ist angestellter Arzt und Mitglied eines berufsständischen Versorgungswerks. Zu den Pflichtbeiträgen, die der Höhe nach denen zur gesetzlichen Rentenversicherung entsprechen, zahlte der Arbeitgeber in den Streitjahren einen hälftigen Zuschuss. In den vom Arbeitgeber des Antragstellers erstellten Lohnsteuerbescheinigungen für die Streitjahre waren die Beiträge zur Altersvorsorge – gesondert nach Arbeitnehmeranteil und Arbeitgeberzuschuss – angegeben. Dass es sich um Beiträge an ein Versorgungswerk handelte, war aus den Lohnsteuerbescheinigungen nicht erkennbar. Zusätzlich stellte das Versorgungswerk jeweils einen "Jahreskontoausweis" ohne Hinweis darauf aus, dass es sich hierbei um den Pflichtbeitrag für Arbeitnehmer mit einem hälftigen Arbeitgeberzuschuss gehandelt hat. Da der Antragsteller über den Pflichtbeitrag hinaus keine freiwilligen Mehrzahlungen an das Versorgungswerk geleistet hatte, waren die im Jahreskontoausweis bescheinigten Beiträge mit der Summe der in den Lohnsteuerbescheinigungen aufgeführten Beiträge identisch.
Die folgenden Altersvorsorgeaufwendungen wurden erklärt:
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2006 |
2007 |
Zeile 61 |
5.148 EUR |
5.433 EUR |
Zeile 63 |
10.296 EUR |
10.866 EUR |
Zeile 65 |
5.148 EUR |
5.432 EUR. |
Das FA veranlagte zunächst erklärungsgemäß, wodurch der Gesamtbeitrag zum Versorgungswerk doppelt berücksichtigt wurde. Aufgrund einer Kontrollmitteilung im Rahmen des Risikomanagements änderte das FA die Steuerbescheide gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Der Einspruch blieb ebenso wie der beim FA gestellte AdV ohne Erfolg. Die Klage ist noch beim FG anhängig. Das FG lehnte den Antrag auf AdV ab (Sächsisches FG, Beschluss vom 29.1.2013, 1 V 1004/12). Es sei nicht ernstlich zweifelhaft, dass das FA die Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO habe ändern dürfen. Maßgebende Tatsache sei, dass dem Antragsteller Altersvorsorgeaufwendungen nur i.H.v. etwa der Hälfte der in den Zeilen 61 bis 65 insgesamt erklärten Beträge entstanden seien, weil er die in Zeile 63 angegebenen Beträge nicht zusätzlich zu den in den Zeilen 61 und 65 eingetragenen Beträgen gezahlt habe.
Entscheidung
Die Beschwerde gegen den Beschluss des FG war nur für 2006 wegen einer möglicherweise eingetretenen Verjährung begründet und führte insoweit zur Gewährung der beantragten AdV. Hinsichtlich des Jahres 2007 war die Beschwerde unbegründet.
Hinweis
Der Grund dafür, dass der X. Senat diesen Beschluss im Aussetzungsverfahren zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen hat, liegt nicht in neuen Rechtserkenntnissen, sondern darin, dass zahlreiche Verfahren mit entsprechenden Problemen sowohl bei den FG als auch beim BFH anhängig sind und die bisherige FG-Rechtsprechung nicht einheitlich ist.
1. Seit Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes im Jahr 2005 können die Altersvorsorgeaufwendungen der sog. ersten Schicht, d.h. insbesondere die Beiträge zu den Versorgungswerken, in einem erheblich größeren Rahmen als Sonderausgaben abgezogen werden als früher.
2. Ist – wie im Streitfall – den vorgelegten Bescheinigungen der Versorgungswerke indes nicht zu entnehmen, ob es sich um gesetzliche oder um zusätzliche freiwillige Beiträge handelt, und wird dementsprechend ein zu hoher Betrag als Sonderausgaben abgezogen, stellt sich die Frage der Änderungsmöglichkeit gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.
Der X. Senat bejaht diese, da auch der Umstand, dass dem Sachbearbeiter des FA bei einer sorgfältigen Analyse der Steuererklärungen Zweifel an der Richtigkeit der dort gemachten Angaben hätten kommen können bzw. müssen, nichts daran ändert, dass ihm die maßgebende Tatsache – objektiv – nachträglich bekannt geworden ist.
Entsprechend der ständigen B...