Dr. Gernot Brähler, Dr. Christian Lösel
Leitsatz
Ergibt sich erst nach Einreichung der Bilanz aufgrund von abweichenden Feststellungen der Betriebsprüfung zum Bodenwert die Möglichkeit, wegen eines danach anzusetzenden Veräußerungsgewinns eine Reinvestitionsrücklage zu bilden, so steht der fehlende Zusammenhang mit einer Bilanzberichtigung einer Bilanzänderung durch nachträgliche Ausübung des Wahlrechts nicht entgegen. Beruht die Eröffnung der Wahlmöglichkeit auf einer noch streitigen Bodenbewertung, kann die Bildung der Rücklage zunächst nur hilfsweise vorgenommen werden.
Sachverhalt
Der Kläger veräußerte am 31.5.1994 ein Grundstück aus seinem Betriebsvermögen an eine GmbH & Co. KG zu einem derart niedrigen, vertraglich fixierten Veräußerungspreis, dass aus dem Verkauf kein Veräußerungsgewinn resultierte. Nach einer Betriebsprüfung (§§ 193 ff. AO), einem erfolglosen Einspruchsverfahren (§§ 347 ff. AO) gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide wurde nach Klage (§§ 40 ff. FGO) im Rahmen eines gerichtlichen Erörterungstermins in gegenseitigem Einvernehmen schließlich ein höherer Quadratmeterpreis angesetzt, aus dem ein Veräußerungsgewinn resultierte. Im Einspruchsverfahren wurde hierfür bereits hilfsweise die Bildung einer Reinvestitionsrücklage nach § 6b Abs. 3 EStG beantragt, die vom Beklagten jedoch unter Hinweis auf § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG mit der Begründung verweigert wurde, dass im Zeitpunkt der Erstellung der Bilanz die für die Rücklagenbildung erforderlichen Voraussetzungen (hier: vorherige Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG) nicht vorlagen. Der Kläger beantragte daher, die Einkommensteuerbescheide unter Berücksichtigung des geänderten Veräußerungsgewinns und der gewinnneutralisierenden Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG festzusetzen. Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen, da im Zeitpunkt der Bilanzerstellung kein unrichtiger Ansatz von Wirtschaftsgütern (hier: Rücklage) vorliegt, sondern ein Ansatz vollständig fehlte und somit keine (zulässige) Bilanzberichtigung sondern eine (unzulässige) Bilanzänderung aufgrund erstmaliger Ausübung eines Wahlrechts vorläge.
Entscheidung
Die Klage ist begründet. Die grundsätzliche Zulässigkeit der Bildung einer 6b-Rücklage und deren Höhe war zwischen beiden Parteien unstreitig. Streitig war alleine die Frage, ob das Passivierungswahlrecht gem. § 6b Abs. 3 EStG erstmalig nach erfolgter Betriebsprüfung ausgeübt werden dürfe oder ob hierin eine unzulässige Bilanzänderung nach Einreichung der Bilanz beim Finanzamt vorläge. Zweifellos erfolgte die Passivierung der 6b-Rücklage nach Einreichung der Bilanz beim FA und ebenso zweifellos erstmalig. Eine Bilanzänderung i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG würde jedoch voraussetzen, dass der Steuerpflichtige einen im Zeitpunkt der Bilanzierung zutreffenden Bilanzansatz durch einen anderen im Zeitpunkt der Bilanzierung zutreffenden Bilanzansatz nachträglich austauscht, d.h. dass der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Bilanzierung bereits ein Wahlrecht hatte. Diese Voraussetzung erkannte das FG jedoch - zutreffend - als nicht gegeben. Da nach Ansicht des Steuerpflichtigen kein Veräußerungsgewinn vorlag, hatte er im Zeitpunkt der Bilanzerstellung alleinig mangels dieser Gewinnrealisierung kein Wahlrecht. Eine Wahlmöglichkeit eröffnete sich erst durch den durch die Betriebsprüfung festgestellten höheren Veräußerungsgewinn. Daher sah das FG § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG immer dann keine Anwendung findet, wenn sich erst nach Einreichen der Bilanz beim Finanzamt aufgrund abweichenden Ansatzes die Möglichkeit für die erstmalige - aber in ihren sonstigen Voraussetzungen nach § 6b Abs. 4 EStG bereits im Bilanzstichtag mögliche - Geltendmachung eines Wahlrechts ergibt. Die aufgrund der streitigen Bodenbewertung im Einspruchsverfahren zunächst nur hilfsweise Bildung der Rücklage gebietet das Gebot des effektiven Rechtsschutzes.
Hinweis
Hinzuweisen ist bzgl. der 6b-Rücklage darauf, dass die Vorraussetzungen gem. § 6b Abs. 4 EStG für ihre Bildung allesamt vorgelegen hätten und sie somit hätte angewandt werden können, wenn es zu einem Veräußerungsgewinn gekommen wäre. Nicht gedeckt von diesem Urteil ist jedoch die Bildung einer 6b-Rücklage, wenn es neben dem Veräußerungsgewinn auch noch an einer anderen Voraussetzung gem. § 6b Abs. 4 EStG (z.B. Behaltensfrist) gemangelt hätte, die dann erst bis zum Zeitpunkt der Betriebsprüfung eingetreten wäre. Hinzuweisen ist auch darauf, dass die 6b-Rücklage grundsätzlich nur eine Steuerstundungswirkung entfaltet. Diese kann jedoch bei geschickter wiederholter Ausübung des Wahlrechts hinausgeschoben werden. Die hilfsweise Bildung der Rücklage bei streitigem Veräußerungsgewinn ist anzuraten.
Link zur Entscheidung
FG Düsseldorf, Urteil vom 30.06.2004, 7 K 4234/01 E