Leitsatz
Ein Verlust aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft aufgrund einer Bürgschaftsinanspruchnahme des Gesellschafters kann nachträglich geltend gemacht werden, ohne dass den steuerlichen Berater in jedem Fall ein grobes Verschulden an dem Nichtansatz im Veranlagungszeitraum der Liquidation trifft.
Sachverhalt
Der Kläger bürgte 1997 krisenbestimmt für ein Darlehen einer Kapitalgesellschaft, an der er wesentlich beteiligt war. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Kapitalgesellschaft wurde 1999 mangels Masse abgelehnt. Der Kläger unterschrieb Anfang 2001 eine von der StB erstellte Einkommensteuererklärung für den VZ 1999. Einen Verlust aus der Auflösung der Kapitalgesellschaft enthielt die Erklärung nicht. Der Einkommensteuerbescheid 1999 wurde im August 2001 bestandskräftig. Ebenfalls in 2001 schloss der Kläger eine Vereinbarung zur abschließenden Regelung seiner Verpflichtungen aus der Bürgschaft, die ihm Ratenzahlungen ermöglichte. Erst Ende 2001 im Zuge der Erstellung der Einkommensteuererklärung für den VZ 2000 wurde die StB hiervon unterrichtet. Das beklagte FA verweigerte die nachträgliche Geltendmachung eines Auflösungsverlustes. Eine Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerveranlagung 1999 sei ausgeschlossen, weil die StB ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden neuer Tatsachen treffe. Das behördliche Verfahren blieb ohne Erfolg.
Entscheidung
Im finanzgerichtlichen Verfahren obsiegte der Kläger. Das FG Bremen war der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerveranlagung 1999 aufgrund nachträglich bekannt gewordener neuer Tatsachen vorlägen (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO). Die aus der Bürgschaftsinanspruchnahme resultierende, aufgrund der Ratenzahlung abzuzinsende Verbindlichkeit des Klägers stelle nachträgliche Anschaffungskosten seiner wesentlichen Beteiligung dar, so dass aus der Auflösung der Kapitalgesellschaft ein Verlust im VZ 1999 entstanden sei. Der Verlust aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft sei aufgrund einer Stichtagsbewertung auf den Zeitpunkt der Liquidation vorzunehmen. Dies gelte auch für die Verpflichtung aus einer krisenbestimmten Bürgschaft, wenn mit einer Inanspruchnahme zu rechnen und der Rückgriff gegen die Gesellschaft wertlos sei. Auf den Zeitpunkt der Erfüllung der Verpflichtung komme es hingegen nicht an. Das Gericht sah im Gegensatz zur Bürgschaftsinanspruchnahme hinsichtlich der verlorenen Stammeinlage ein grobes Verschulden der StB, das dem Kläger zuzurechnen sei. Die StB habe von dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewusst. Ihre unterlassene Nachfrage Anfang 2001 zu dem weiteren Verlauf des Insolvenzverfahrens begründe ein grobes Verschulden in bezug auf die verlorene Stammeinlage im Rahmen der Ermittlung des Auflösungsverlustes. Nicht so bei der Bürgschaftsinanspruchnahme. Hier treffe weder den Kläger noch seine StB ein grobes Verschulden. Ein Berater habe abschätzen, ob in absehbarer Zeit mit einer Erfüllung der Bürgschaftsverpflichtung zu rechnen sei. Da die Bank davon abgesehen habe, Zahlungsklage zu erheben, sei die künftige wirtschaftliche Belastung des Klägers durch die Bürgschaft Anfang 2001 nicht offenkundig gewesen. Der Nichtansatz eines Auflösungsverlustes in der Einkommensteuererklärung 1999 aufgrund der drohenden Bürgschaftsinanspruchnahme begründe in diesem Fall kein grobes Verschulden.
Hinweis
Nicht immer wird sich ein Berater darauf verlassen dürfen, dass die künftige wirtschaftliche Belastung seines Mandanten aus einer krisenbestimmten Bürgschaft für ihn im Zeitpunkt der Erstellung der Einkommensteuererklärung des VZ der Liquidation nicht offenkundig war. Eine drohende Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft in nachfolgenden Veranlagungszeiträumen ist daher bereits bei der Ermittlung des Auflösungsverlustes im VZ der Liquidation durch Schätzung geltend zu machen. Verzichtet die Bank später auf ihre Rechte aus der Bürgschaft, stellt dies ein bestandskraftdurchbrechendes rückwirkendes Ereignis dar (§ 175 Abs. 1 Nr. 2 AO). Wird die Einkommensteuer vorläufig festgesetzt, weil die wirtschaftliche Belastung des Mandanten aus einer krisenbestimmten Bürgschaft ungewiss ist (§ 165 Abs. 1 AO) umgeht der Berater die Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der Durchbrechung der Bestandskraft.
Link zur Entscheidung
FG Bremen, Urteil vom 10.12.2003, 2 K 148/03 (1)