Prof. Dr. rer. pol. Claudia Rademacher-Gottwald
Leitsatz
Wenn ein aus dem Betrieb ausscheidender Arbeitnehmer vor dem Bezug von Überbrückungsgeld Arbeitslosengeld vom Arbeitsamt erhält, weil der Tarifvertrag "Überbrückungsgeld" noch nicht in Kraft getreten ist, und wenn der Arbeitgeber diesen Betrag in einem späteren Veranlagungszeitraum wieder an das Arbeitsamt zurückzahlt, so unterliegt die Rückzahlung des Arbeitgebers beim Arbeitnehmer dem negativen Progressionsvorbehalt. Wirtschaftlich bedeutet die Rückzahlung des Arbeitgebers an das Arbeitsamt zum einen die Zahlung von Überbrückungsgeld (Zahlung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer) d. h. Zufluss von Arbeitslohn beim Arbeitnehmer, und zum anderen die Rückerstattung von Arbeitslosengeld (Zahlung des Arbeitnehmers an das Arbeitsamt), d. h. Abfluss von Arbeitslohn beim Arbeitnehmer.
Sachverhalt
Das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und ihrem Arbeitgeber endete im Jahr 1997. Nach dem Tarifvertrag "Überbrückungsgeld", der zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft getreten war, stand der Klägerin Überbrückungsgeld zu. Vereinbarungsgemäß zahlte das Arbeitsamt der Klägerin für 1997 zunächst Arbeitslosengeld, das bei der Steuerfestsetzung dem positiven Progressionsvorbehalt unterworfen wurde. Da die Klägerin für 1997 jedoch einen Anspruch auf Überbrückungsgeld und nicht auf Arbeitslosengeld hatte, zahlte der Arbeitgeber im Jahr 1999 das Arbeitslosengeld in Erfüllung seiner gegenüber der Klägerin bestehenden Verpflichtung zur Zahlung von Überbrückungsgeld direkt an das Arbeitsamt zurück. Der Betrag wurde dem Lohnsteuerabzug unterworfen. In ihrer Steuererklärung 1999 beantragte die Klägerin, auf die Rückzahlung des Arbeitslosengeldes den negativen Progressionsvorbehalt anzuwenden, was das Finanzamt jedoch ablehnte mit der Begründung, dass es an der wirtschaftlichen Belastung der Klägerin fehlte, da die Rückzahlung durch den Arbeitgeber erfolgt sei. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Das FG gab der Klage statt und beurteilte die Zahlung des Arbeitgebers an das Arbeitsamt als Zahlung von Überbrückungsgeld an die Klägerin und zugleich als Rückzahlung des Arbeitslosengeldes der Klägerin (Zahlung im abgekürzten Zahlungsweg), so dass es im Ergebnis eine wirtschaftliche Belastung der Klägerin und die Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts bejahte. Sozialrechtlich liegt zwar keine Zahlung im abgekürzten Zahlungsweg vor, da der Überbrückungsgeld-Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber gemäß § 115 Abs. 1 SGB X auf den Sozialleistungsträger übergegangen ist. Nach Auffassung des FG ist die steuerliche Beurteilung jedoch abweichend vom Sozialrecht vorzunehmen, da der Zahlungsvorgang wirtschaftlich betrachtet werden muss.
Hinweis
Das Urteil des FG ist rechtskräftig. Die steuerliche Interpretation des Zahlungsvorgang als Zahlung im abgekürzten Zahlungsweg weicht von der Auffassung des FG Berlin ab, wonach die Arbeitslohnnachzahlungen, die der Arbeitgeber auf Grund von erbrachten Lohnersatzleistungen des Sozialleistungsträgers direkt an diesen leistet, im Jahr der Zahlung mangels wirtschaftlicher Verfügungsmacht keinen Zufluss von Arbeitslohn beim Arbeitnehmer darstellen (FG Berlin, Urteil v. 2.10.2003, 1 K 1499/02). Ob sich die steuerliche Beurteilung nach den sozialrechtlichen Verhältnissen richtet (so FG Berlin) oder die wirtschaftliche Betrachtungsweise berücksichtigt (so FG des Landes Brandenburg) entscheidet der BFH (Az.: VI R 66/03).
Link zur Entscheidung
FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 23.02.2005, 4 K 401/02