Dipl.-Finanzwirt Christian Ollick
Kommentar
Das BMF hat seinen Erlass zur "Steuerlichen Behandlung der Reisekosten von Arbeitnehmern" neu gefasst. Berücksichtigt werden insbesondere die neuere BFH-Rechtsprechung mit Schwerpunkten bei der ersten Tätigkeitsstätte, der Mahlzeitengestellung und der doppelten Haushaltsführung sowie die ab 2020 geltenden Rechtsänderungen, u. a. bei den Pauschalen für Verpflegungsmehraufwendungen.
Das Schreiben ersetzt das BMF-Schreiben vom 24.10.2014 (BStBl I S. 1412) und ist in allen noch offenen Fällen anzuwenden. Nachfolgend stellen wir Ihnen die wichtigsten Neuerungen sowie verbleibende Zweifelsfragen vor:
Neues zur ersten Tätigkeitsstätte
Bezüglich des steuerfreien Reisekostenersatzes und der Höhe der abzugsfähigen Werbungkosten für Auswärtstätigkeiten kommt es entscheidend darauf an, ob Arbeitnehmer eine erste Tätigkeitsstätte haben oder nicht. In der Steuererklärung kann für die Fahrt zur ersten Tätigkeitsstätte nur die sog. Entfernungspauschale geltend gemacht werden. Eine erste Tätigkeitsstätte ist gegeben, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin
- arbeitsrechtlich
- einer (von der Wohnung getrennten) ortsfesten betrieblichen Einrichtung
- beim Arbeitgeber oder einem Dritten (z.B. Kunden)
- dauerhaft zuordnet und
- der/die Betroffene dort zumindest in geringem Umfang tätig wird.
Erste Tätigkeitsstätte allgemein
Das neue BMF-Schreiben enthält folgende Neuerungen zur Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte:
- Als erste Tätigkeitsstätte kommt auch ein großflächiges und entsprechend infrastrukturell erschlossenes Gebiet, wie z. B. eine Werksanlage, ein Betriebsgelände, Zechengelände, Bahnhof oder ein Flughafen in Betracht (BFH, Urteile v. 11.4.2019, VI R 40/16 und VI R 12/17, BStBl II S. 546 und 551).
- Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass ein Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er/sie arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zum ausgeübten Berufsbild gehören (BFH, Urteil v. 4.4.2019, VI R 27/17, BStBl II S. 536 und BFH, Urteil v. 11.4. 2019, VI R 40/16). Danach haben z.B. viele Beamte und Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst eine erste Tätigkeitstätte, im Urteilsfall ging es um einen Streifenpolizisten. Ebenfalls hat der BFH erste Tätigkeitsstätten bei fliegendem Personal am Heimatflughafen bestätigt.
- Die Zuordnung durch den Arbeitgeber kann außerhalb des Dienst- oder Arbeitsvertrags erfolgen (auch mündlich oder konkludent) und ist unabhängig davon, ob sich der Arbeitgeber der steuerlichen Folgen bewusst ist. Sie kann sich auch ergeben aus: Tarifvertrag, Protokollnotizen, dienstrechtlichen Verfügungen, Einsatzplänen, Reiserichtlinien, Reisekostenabrechnungen, dem Ansatz eines geldwerten Vorteils für die Nutzung eines Dienstwagens für die Fahrten zur ersten Tätigkeitsstätte oder vom Arbeitgeber vorgelegten Organigrammen BFH, Urteil v. 11.4. 2019, VI R 40/16 und BFH, Urteil v. 4.4.2019, VI R 27/7).
- Eine Zuordnung ist unbefristet, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt. Der Umstand, dass ein Arbeitnehmer jederzeit einer anderen Tätigkeitsstätte zugeordnet werden könnte, führt nicht zur Annahme einer befristeten Zuordnung (BFH, Urteil v. 4.4.2019, VI R 27/7).
Befristete Beschäftigungsverhältnisse und Leiharbeit
Wird ein befristetes Beschäftigungsverhältnis vor Ablauf der Befristung schriftlich durch bloßes Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts verlängert, liegt ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis vor. Für die Frage, ob eine Zuordnung für die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses erfolgt, ist daher ab dem Zeitpunkt der Verlängerung auf das einheitliche Beschäftigungsverhältnis abzustellen (BFH, Urteil v. 10.4. 2019, VI R 6/17, BStBl II S. 539).
Damit veröffentlicht die Verwaltung zwar die Rechtsprechung zu befristeten Beschäftigungsverhältnissen, das hilft aber bei Leiharbeitnehmern regelmäßig nicht weiter. Das BMF bleibt dabei, dass diese eine erste Tätigkeitsstätte haben können, wenn sie ausnahmsweise dauerhaft (§ 9 Absatz 4 Satz 3 EStG, "bis auf Weiteres" also unbefristet, für die gesamte Dauer des Leiharbeitsverhältnisses oder länger als 48 Monate) in einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Entleihers tätig werden sollen. Die Frage einer ersten Tätigkeitsstätte bei Leiharbeitnehmern ist aber erneut in einem Revisionsverfahren beim BFH streitig (Aktenzeichen VI R 32/20). Nach dem vorinstanzlichen Urteil (Niedersächsisches FG, Urteil v. 28.5.2020, 1 K 382/16) hatte der Kläger an seinem Einsatzort beim Entleiher eine erste Tätigkeitsstätte. Der Einsatz war sowohl für den Kläger als Mitarbeiter als auch den Arbeitgeber von vornherein so gestaltet, dass der Kläger bis auf Weiteres, also nicht befristet beim Entleiher eingesetzt werden sollte.
Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte
Erste Tätigkeitsstätte ist übrigens auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines...