Leitsatz
Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG i.d.F. des StÄndG 2007 insoweit mit dem GG vereinbar ist, als danach Aufwendungen des Arbeitnehmers für seine Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte keine Werbungskosten sind und keine weiteren einkommensteuerrechtlichen Regelungen bestehen, nach denen die vom Abzugsverbot betroffenen Aufwendungen ansonsten die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage mindern.
Normenkette
Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1 GG, § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG, § 80 Abs. 1, § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG
Sachverhalt
Der verheiratete Kläger erzielt als angestellter Bäckermeister Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Er wohnt mit seiner Familie in X und arbeitet im 70 km entfernten Y. Seine Ehefrau bezieht ebenfalls Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Nach den Angaben des Klägers beträgt die Entfernung zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte seiner Ehefrau in Z 37 km.
Mit seinem Antrag auf LSt-Ermäßigung für 2007 beantragte der Kläger, seine Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i.H.v. 4 620 € als Freibetrag auf der LSt-Karte einzutragen (220 Tage x 70 km x 0,30 €). Das FA ermittelte den Freibetrag entsprechend der ab 2007 geänderten Gesetzeslage nach der um 20 km gekürzten Entfernung (220 Tage x 50 km x 0,30 € = 3 300 € abzüglich Arbeitnehmer-Pauschbetrag = 2 380 €). Gegen den insoweit ablehnenden Bescheid über die LSt-Ermäßigung 2007 legte der Kläger erfolglos Einspruch ein.
Das FG wies die Klage ab und ließ die Revision zu (DStRE 2007, 538).
Entscheidung
Der BFH beschloss, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG darüber einzuholen, ob -- wie im Leitsatz formuliert -- § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG i.d.F. des StÄndG 2007 mit dem GG vereinbar ist.
Letztlich führte der BFH noch aus, dass sich nach Ablauf des Monats März 2008 die Eintragung des Freibetrags auf der LSt-Karte 2007 nicht mehr auf das LSt-Abzugsverfahren auswirken könne (§ 42b Abs. 3 Satz 1 EStG), sodass das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungsklage entfalle. Um zu vermeiden, dass die Revision unzulässig wird, könne der Kläger aber vom Anfechtungs- in ein Feststellungsverfahren nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO übergehen. Das Feststellungsinteresse sei zu bejahen, u.a. im Hinblick auf die ESt-Veranlagung für das Jahr 2007.
Hinweis
1. Seit dem 01.01.2007 sind Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte keine Werbungskosten mehr. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass der Weg von und zu der Arbeitsstätte in die private Sphäre fällt (sog. Werkstorprinzip). Der VI. Senat des BFH hält die Neuregelung für verfassungswidrig, soweit Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte weder als Werbungskosten noch auf andere Weise abgezogen werden können. Er hat deshalb zwei Verfahren betreffend die Ablehnung eines LSt-Ermäßigungsantrags ausgesetzt und das Abzugsverbot dem BVerfG vorgelegt. Der Beschluss VI R 17/07 ist zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt.
2. Bereits in seinem Beschluss vom 23.08.2007, VI B 42/07, BFH-PR 2007, 423 hatte es der VI. Senat in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren als ernstlich zweifelhaft angesehen, ob das Abzugsverbot des § 9 Abs. 2 EStG verfassungsgemäß ist. Auch wenn der VI. Senat im dortigen Verfahren nicht zu erkennen gegeben hat, welche Auffassung er im vorliegenden Hauptsacheverfahren vertreten werde, wäre jede andere Entscheidung als der jetzige Vorlagebeschluss wohl eine Überraschung gewesen.
3. Der BFH stützt seine Rechtsauffassung, dass die Neuregelung der Entfernungspauschale verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht standhält, auf mehrere Gründe. Nach seiner Auffassung verstößt die Neuregelung insbesondere gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, das objektive Nettoprinzip, dem Grundsatz der Folgerichtigkeit und auch gegen das subjektive Nettoprinzip.
4. Nach Ansicht des VI. Senats ist die Neuregelung nicht mit der bereichsspezifischen Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes im ESt-Recht vereinbar. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz verfassungsrechtliche Einschränkungen bei der Bestimmung der Besteuerungstatbestände des ESt-Rechts. Diese hat der Gesetzgeber zu beachten. Dazu zählen vor allem das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und das eng damit verbundene Gebot der Folgerichtigkeit.
5. Der BFH betont ausdrücklich, dass das objektive Nettoprinzip im jetzigen ESt-Recht eine Grundentscheidung darstellt. Der ESt unterliegt nur das Nettoeinkommen, nämlich der Saldo aus dem Erwerbseinkommen einerseits und den Erwerbsaufwendungen andererseits (vgl. § 2 Abs. 2 EStG). Dieses objektive Nettoprinzip wird durch das sog. Werkstorprinzip („Berufssphäre beginnt erst am Werkstor”) weder aufgehoben noch modifiziert. Das objektive Nettoprinzip ist vielmehr gegenüber dem sog. Werkstorprinzip vorrangig. Entgegen der Rechts...