Leitsatz
1. Die qualifizierte Rückfallklausel des Abschn. 16 Buchst. d des Protokolls zum DBA-Italien 1989, nach der die Einkünfte einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person (nur dann) als aus dem anderen Vertragsstaat stammend gelten, wenn sie im anderen Vertragsstaat in Übereinstimmung mit dem Abkommen effektiv besteuert worden sind, ist auch auf negative Einkünfte anzuwenden. Von einer effektiven Besteuerung durch den anderen Staat ist im Falle von Verlusten jedenfalls dann auszugehen, wenn der andere Staat die Verluste in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezieht und einen Ausgleich mit positiven Einkünften eines anderen Veranlagungszeitraums ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen, dass es zu irgend einem Zeitpunkt tatsächlich zu einem solchen Ausgleich kommt.
2. Der auf einem DBA (hier: DBA-Italien 1989) beruhende Ausschluss der Berücksichtigung von Verlusten einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte (sog. Symmetriethese) verstößt auch im Hinblick auf endgültige ("finale") Verluste weder gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit (Anschluss an EuGH-Urteil W vom 22.09.2022 ‐ C‐538/20, EU:C:2022:717, DStR 2022, 1993; Bestätigung der Senatsrechtsprechung) noch gegen Art. 20 der Charta der Grundrechte der EU und das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot.
Normenkette
Art. 7 Abs. 1, Art. 24 Abs. 3 Buchst. a, Protokoll Abschn. 16 Buchst. d DBA-Italien 1989, Art. 43, Art. 48 EG, Art. 49, Art. 54 AEUV, Art. 20 EUGrdRCh, Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine inländische GmbH. Im Rahmen der Expansion des Unternehmens in europäische Länder eröffnete sie im Jahr 2004 eine Niederlassung in Italien. Diese Niederlassung erwirtschaftete in den Jahren 2004 bis 2008 durchgehend Verluste.
Daher beschloss die Klägerin im Dezember 2008, dass die Geschäftstätigkeit in Italien ab dem 1.1.2009 von Deutschland aus ausgeübt werden soll. Sie schloss die italienische Niederlassung daher zum 31.12.2008. Weil sie in Italien zu keinem Zeitpunkt Gewinne erzielt hat, konnte die Klägerin in eigener Person die Verluste dort weder durch einen Verlustrücktrag noch durch einen Verlustvortrag nutzen. Mit ihrer Steuererklärung für das Streitjahr 2008 machte die Klägerin ausländische Betriebsstättenverluste von insgesamt … EUR gewinnmindernd geltend. Das FA berücksichtigte diese Verluste jedoch bei der Festsetzung der KSt nicht. Die Klägerin erhob im Dezember 2011 Sprungklage gegen den KSt-Bescheid. Nachdem das FA der Sprungklage nicht zugestimmt hatte, wurde das Verfahren als außergerichtlicher Rechtsbehelf fortgeführt. Im Dezember 2012 erhob die Klägerin Untätigkeitsklage, mit der sie zuletzt beantragt hat, die KSt unter Berücksichtigung eines Verlusts aus der italienischen Betriebsstätte von … EUR festzusetzen. Sie hat dabei für die Jahre 2004 bis 2006 und 2008 die Verluste der italienischen Betriebsstätte nach deutschen Gewinnermittlungsgrundsätzen angesetzt, für das Jahr 2007 hingegen die (geringeren) Verluste, wie sie in der gegenüber dem italienischen Fiskus abgegebenen Steuerklärung erklärt worden sind. Die Klage hatte Erfolg (FG Hamburg, Urteil vom 6.8.2014, 2 K 355/12, Haufe-Index 7335079, EFG 2014, 2084).
Entscheidung
Die Revision des FA führte zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Klageabweisung. Die Gründe hierfür sind den Praxis-Hinweisen zu entnehmen.
Hinweis
1. Das Besprechungsurteil betrifft wiederum die Problematik der sog. finalen Verluste. Es handelt sich um die zweite Entscheidung des BFH nach Ergehen des bedeutsamen EuGH-Urteils W vom 22.9.2022, C-538/20, EU:C:2022:717, BFH/NV 2022, 1279. Die erste Folgeentscheidung des BFH war bereits im Februar 2023 ergangen (BFH, Urteil vom 22.2.2023, I R 35/22, BFH/NV 2023, 753, BFH/PR 2023, 262). In der Besprechung dieser Entscheidung, die in BFH/PR 8/2023 abgedruckt ist, wird die Problematik der finalen Verluste ausführlich dargestellt. Darauf ist zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst zu verweisen.
2. An dieser Stelle soll nur noch einmal das Entscheidende ausgesprochen werden: Die unionsrechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit gebietet dann keinen Abzug finaler Verluste, wenn der Stammhausstaat (im Streitfall Deutschland) mit dem Betriebsstättenstaat (im Streitfall Italien) in einem DBA die Freistellung der Betriebsstätteneinkünfte vereinbart hat. In diesem Fall verzichtet der Stammhausstaat bilateral auf seine Besteuerungsbefugnis und dies führt dann nach Auffassung des EuGH dazu, dass es bereits an der Vergleichbarkeit fehlt: Ein inländisches Unternehmen mit ausländischen Betriebsstätten befindet sich dann nicht in einer vergleichbaren Situation wie ein inländisches Unternehmen mit inländischen Betriebsstätten. Die fehlende Vergleichbarkeit steht der Feststellung einer Verletzung der Niederlassungsfreiheit entgegen.
3. Wie in der Besprechung zum BFH-Urteil I R 35/22 bereits angesprochen, haben sich nach Veröffentlichung des EuGH-Urteils W einige Folgefragen gestellt, von denen eine besondere wichtige nunmehr vom BFH beantwor...