Leitsatz
1. Ein Umsatzsteuerbescheid ist nichtig, wenn aus ihm nicht klar ersichtlich wird, ob der Inhaltsadressat (Steuerschuldner) eine GmbH oder deren Geschäftsführer bzw. Liquidator ist.
2. Der Inhaltsadressat (Steuerschuldner) muss nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden; ausreichend ist vielmehr, dass er sich nach dem objektiven Erklärungsgehalt des Bescheids aus Sicht des Empfängers im Wege der Auslegung zweifelsfrei bestimmen lässt.
Normenkette
§ 125, § 119, § 157 AO
Sachverhalt
Alleiniger Geschäftsführer der Klägerin, einer GmbH, war M. Nachdem die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden war, befand sich die Klägerin in Liquidation, wobei M zum Liquidator bestellt worden war.
Das FA erließ am 27.4.2012 Änderungsbescheide zur Umsatzsteuer 2006 bis 2009, in denen die Umsätze der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (Sollbesteuerung) unterworfen wurden. Den Einsprüchen, mit denen die Klägerin die ihr gestattete Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (Istbesteuerung) begehrte, half das FA ab und erließ am 14.12.2015 entsprechende Änderungsbescheide für die Streitjahre 2006 bis 2009.
Von einer Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (Sollbesteuerungen) ausgehend erfasste das FA bei der Auswertung des Betriebsprüfungsberichts eine Leistung der Klägerin an die Firma S im Jahr der Leistungserbringung (2008), während die Klägerin diesen Umsatz bei Vereinnahmung in 2010 erklärt hatte.
Das FA verminderte daher zunächst die Umsatzsteuer 2010 im Änderungsbescheid vom 11.4.2013. Auf Einspruch der Klägerin korrigierte das FA diesen Fehler durch den Umsatzsteuer-Änderungsbescheid vom 23.12.2015.
Die vor der Liquidation ergangenen Änderungsbescheide vom 27.4.2012 (2006 bis 2009) und vom 11.4.2013 (2010) waren jeweils gerichtet an: "Herrn M in Firma C‐GmbH…". Unterhalb des Adressfeldes enthielten die Bescheide jeweils folgenden Zusatz: "als gesetzlicher Vertreter von Firma C‐GmbH…".
Die während der Liquidation der Klägerin ergangenen Bescheide vom 14.12.2015 (2006 bis 2009) und vom 23.12.2015 (2010) sind gerichtet an: "Herrn M in Fa. C‐GmbH i. L. …" Unterhalb des Adressfeldes enthielten die Bescheide jeweils folgenden Zusatz:
"Als Liquidator für Fa. C‐GmbH i. L. …"
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hatte die Klage Erfolg. Das FG entschied in seinem Urteil, dass die angegriffenen Bescheide nichtig seien, weil sie nicht eindeutig erkennen ließen, wer der Inhaltsadressat und damit der Steuerschuldner sei.
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil des FG (FG Münster, Urteil vom 18.5.2017, 5 K 1954/16 U, Haufe-Index 11526519, EFG 2018, 192) auf und verwies die Sache an das FG zurück. Für M sei ohne weiteres erkennbar gewesen, dass er die streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide zunächst in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer und später als Liquidator der Klägerin erhalten habe und sie ihn daher nicht selbst als Steuerschuldner betreffen. Dies ergebe sich bereits aus dem Zusatz "in Fa. C-GmbH" bzw. "in Fa. C-GmbH i. L.".
Hieraus folge, dass ihm die Bescheide lediglich in der Umsatzsteuersache der GmbH bekanntgegeben worden seien. Bestätigt werde dies durch den unterhalb des Adressfeldes ersichtlichen Zusatz "als gesetzlicher Vertreter" und "als Liquidator".
Hinweis
1. Ein Verwaltungsakt ist nach § 125 Abs. 1 AO nichtig, wenn er an einem besonders schweren Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Danach können Fehler in der Bezeichnung des Steuerschuldners im Bescheid nicht geheilt werden, da der Steuerbescheid z.B. Grundlage für die Zwangsvollstreckung gegen den Steuerschuldner ist.
2. Allerdings muss der Steuerschuldner in dem Bescheid nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden. Ausreichend ist vielmehr, wenn er sich nach dem objektiven Erklärungsgehalt des Bescheids aus der Sicht des Empfängers im Wege der Auslegung zweifelsfrei bestimmen lässt. Heranzuziehen sind hierbei nicht nur die dem Bescheid beigefügten Erklärungen, sondern darüber hinaus auch die dem Betroffenen bekannten Umstände.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.1.2020 – V R 56/17