Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Nichtigkeit eines Einkommensteuerbescheides mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen bei Ausrichtung der Schätzung an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens - Kein Anspruch auf Vorbehaltsschätzung
Leitsatz (redaktionell)
- Das Bestreben, die Schätzung an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens durch Berücksichtigung nur der übermittelten Vorsorgeaufwendungen und Schätzung der Mieteinnahmen unter Berücksichtigung einer Mieterhöhung ohne Ansatz nicht belegter Werbungskosten auszurichten, ist gerade kein zur Nichtigkeit führendes ”bewusstes Schätzen zum Nachteil des Steuerpflichtigen“, sondern zeigt im Gegenteil, dass hier keine Willkürmaßnahme vorliegt.
- Der Umstand, dass der Schätzbescheid nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, ist kein Indiz für eine missgünstige Intention zur absichtlichen Schädigung oder gar Strafschätzung.
Normenkette
AO §§ 162, 125 Abs. 1, §§ 118, 155 Abs. 1 S. 1, § 164 Abs. 1 S. 1, § 5
Streitjahr(e)
2016
Tatbestand
Streitig ist die Nichtigkeit eines Einkommensteuerbescheides mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen.
Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr 2016 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Da sie trotz mehrfacher Aufforderung keine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr abgaben, schätzte das beklagte Finanzamt (FA) die Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 der Abgabenordnung (AO). Im Rahmen der Schätzung berücksichtigte der Beklagte die übermittelten Daten vom Arbeitgeber des Klägers, der Deutschen Rentenversicherung über die Rente der Klägerin sowie der Debeka Krankenversicherung für die Kläger als Einnahmen bzw. Sonderausgaben. Die vom Arbeitgeber übermittelte, im Streitjahr abgeführte Kirchensteuer wurde ebenfalls im Rahmen der Sonderausgaben berücksichtigt. Weitere Sonderausgaben schätzte der Beklagte nicht. Der Beklagte schätzte dagegen die Einkünfte aus der Vermietung der Immobilie ”“ in H. Dabei erhöhte das beklagte FA gegenüber dem Vorjahr die Kaltmiete von 7.800 € auf 8.500 €. Die vereinnahmten Umlagen wurden von 615 € auf 700 € erhöht. Absetzungen für Abnutzung (wegen Ablauf des Abschreibungszeitraums) und weitere Werbungskosten berücksichtigte der Beklagte nicht. Hieraus ergaben sich geschätzte Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 9.200 €.
Bereits im Vorjahr wurden die Besteuerungsgrundlagen der Kläger geschätzt. Die Einkommensteuererklärung 2015 gaben die Kläger erst im Einspruchsverfahren ab. Der Beklagte übernahm hier die Angaben aus der Einkommensteuererklärung zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.
Der Einkommensteuerbescheid 2016 erging am 4. Juli 2018 mit einfachem Brief zur Post. Am 11. September 2018 legte der Sohn der Kläger gegen diesen Bescheid Einspruch ein. Er bezog sich zunächst auf die Ankündigung der Zwangsvollstreckung und beantragte zeitgleich einstweilige Aussetzung bzw. Neuberechnung des Schätzungsbescheides, weil sein Vater, der Kläger, krankheitsbedingt wegen eines Schlaganfalls Anfang 2016 die Einkommensteuererklärung nicht mehr selbstständig bearbeiten könne. Der Sohn kündigte an, dies nun mit Hilfe eines Steuerberaters aufzuarbeiten. Der vorhergehende Mahnbescheid sei anscheinend bei seiner Mutter, der Klägerin, untergegangen, da sie mit der Ganztagspflege des Klägers überlastet gewesen sei. Der Kläger sei nach dem Schlaganfall in 2016 pflegebedürftig und habe die Pflegestufe 4. Seitdem würde er monatlich das gleiche des derzeitigen Pflege-Höchstsatzes von ca. 1.480 € pro Monat aus eigenen Mitteln dazuzahlen, um auf die monatlichen Pflegekosten von ca. 3.100 € zu kommen. Dies solle nun mit Hilfe des Steuerberaters belegt werden. Es würden bei den Klägern monatliche außergewöhnliche, finanzielle Belastungen anfallen, die jeden Monat ca. 1.200 € aus eigenen Mitteln ausmachen würden.
Mit Schreiben vom 19. September 2018 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass der Einspruch verspätet und damit unzulässig sei. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht. Am 14. November 2018 reichten die Kläger die Einkommensteuererklärung 2016 nach. Darin erklärten sie eine Kaltmiete i.H.v. 7.800 € und vereinnahmte Umlagen i.H.v. 182 €. Die beantragten Werbungskosten betrugen 1.820 €; mithin ergaben sich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 6.162 €. Im Rahmen der Vorsorgeaufwendungen beantragten die Kläger zusätzlich den Abzug von Beiträgen zur Unfall-, Haftpflicht- und Lebensversicherung i.H.v. insgesamt 1.445 € und zur Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht i.H.v. 486 €. Ferner begehrten sie den Abzug von Spenden i.H.v. 360 € und die Berücksichtigung gezahlter Kirchensteuer i.H.v. 575 € als Sonderausgaben. Schließlich gaben die Kläger an, Krankheitskosten i.H.v. 50.625 € getragen zu haben, von denen allerdings 50.529 € erstattet worden seien. Außerdem machten die Kläger noch eine Steuerermäßigung nach § 35a des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.H.v. 770 € geltend.
Mit Schreiben vom 18. Januar 2019 vertraten die Kläger die Auffassung, dass der Eink...