Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von Kapitalertragsteuer auf Kapitalerträge aus Kapitallebensversicherung?
Leitsatz (redaktionell)
- Zu den Voraussetzungen eines Erlasses gemäß § 227 AO.
- Eine bestandskräftige Steuerfestsetzung kann in einem sachlichen Billigkeitsverfahren nur dann inhaltlich nachgeprüft werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und es dem Stpfl. nicht möglich oder unzumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren.
- Zu den Voraussetzungen eines Erlasses aus persönlichen Billigkeitsgründen.
- Es kann angebracht sein, einem Stpfl. die Kapitalertragsteuer auf Kapitalerträge aus einer Kapitallebensversicherung zu erlassen, wenn dies zur Sicherung der Existenzgrundlage des Stpfl. im Alter erforderlich ist.
Normenkette
AO § 227
Streitjahr(e)
2012
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Erlass der Einkommensteuer 2012.
1. Die 195x geborene Klägerin ist Koreanerin. 197x heiratete sie einen Deutschen und zog nach Deutschland, wo sie seither lebt. Die Ehe wurde geschieden. Die Klägerin erlernte einen Ausbildungsberuf und trat 197x erstmals eine Arbeitsstelle in der Bundesrepublik Deutschland an. Nach damaliger Rechtslage war es für Koreaner nicht möglich, in das deutsche Rentenversicherungssystem einzuzahlen.
2. Die Klägerin schoss zur privaten Altersvorsorge eine Kapitallebensversicherung bei der V-AG mit einer Laufzeit bis zum 1. Juli 2012 ab, in die sie jährliche Beiträge einzahlte (die Kapitallebensversicherung). Zum 1. September 2009 betrug der Rückkaufswert der Kapitallebensversicherung … €. Mit Erklärung vom 23. November 2009 verpfändete die Klägerin alle gegenwärtigen und künftigen Rechte aus der Kapitallebensversicherung an die X-Bausparkasse zur Besicherung eines Immobilienkredits. Die Kapitallebensversicherung wurde zudem in Zusammenhang mit der Aufnahme eines weiteren Darlehens gegenüber der V-AG i.H.v. 12.000 EUR beliehen. Das Formular der Bausparkasse, das für die Verpfändungserklärung verwendet wurde, enthielt den expliziten Hinweis an die Klägerin, dass die Abtretung von Lebensversicherungen zur Sicherung oder Tilgung von Darlehen zu steuerlichen Nachteilen, insbesondere zur Versteuerung der Erträge aus der abgetretenen Lebensversicherung, führen kann. Die Darlehenssummen verwendete die Klägerin zum Erwerb einer Eigentumswohnung.
Die Klägerin ist zu 50% schwerbehindert. Seit 200x bezog sie eine Berufsunfähigkeitsrente von der V-AG auf Grundlage des Kapitallebensversicherungsvertrags. Die Rentenzahlungen wurden mit Ende der Vertragslaufzeit zum 1. Juli 2012 eingestellt.
Am 22. November 2012 wurde die Kapitallebensversicherung ausgezahlt. Nach der Steuer-bescheinigung vom 20. November 2012 betrugen die Kapitalerträge 118.017,67 EUR, Kapi-talertragsteuer wurde in Höhe von 29.504,42 EUR und Solidaritätszuschlag zur Kapitalertrag-steuer in Höhe von 1.622,75 EUR einbehalten.
Nach einer Bescheinigung der V-AG ist der Auszahlungsbetrag dergestalt verwendet worden, dass
ein Betrag in Höhe von 12.000 EUR zur Tilgung eines offenen Policendarlehens bei der V-AG einbehalten wurde,
ein Betrag in Höhe von 36.507 EUR an die X-Bausparkasse überwiesen wurde und
nach Abzug der abgeführten Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer ein Restbetrag von 102.913 EUR auf ein Konto der Klägerin überwiesen wurde.
3. Die Klägerin wurde zur Einkommensteuer 2012 veranlagt. Hierbei berücksichtigte das damals Finanzamt die vorgenannten Beträge entsprechend der Steuerbescheinigung. Es ergab sich eine festgesetzte Einkommensteuer in Höhe von 28.707 EUR, ein Solidaritätszuschlag in Höhe von 1.578,88 EUR und Kirchensteuer in Höhe von 2.583,63 EUR. Die Steuerabzugsbeträge wurden auf die festgesetzte Steuer angerechnet, so dass sich ein Erstattungsbetrag zugunsten der Klägerin ergab. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin beim damals zuständigen Finanzamt Einspruch ein. Die Klägerin begründete diesen Einspruch gegen die Festsetzung nicht. Das Finanzamt wies den Einspruch insoweit durch Entscheidung vom 9. Januar 2014 als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde bestandskräftig.
4. Die Klägerin beantragte beim Finanzamt den Erlass der Einkommensteuer 2012 in Höhe von 28.707 EUR. Den Erlassantrag begründete die Klägerin dahingehend, dass die ausgezahlte Lebensversicherung als Grundlage für ihre Rente gedacht gewesen sei. Sie berief sich zudem darauf, dass sie lediglich über geringe Einkünfte aus einer Zusatzrente in Höhe von 389 EUR verfüge. Auf Anforderung des Finanzamts legte sie während des Erlassverfahrens Unterlagen zu ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Situation sowie zur Verwendung des Auszahlungsbetrags aus der Kapitallebensversicherung vor.
Danach stellte sich die Einkommens- und Vermögenssituation der Klägerin zum Zeitpunkt der Auszahlung der Kapitallebensversicherung und des Einbehalts der Kapitalertragsteuer wie folgt dar: Sie war zu 50% schwerbehindert und war aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme nicht in der Lage...