vorläufig nicht rechtskräftig
Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [VI R 22/24)]
Entscheidungsstichwort (Thema)
Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen
Leitsatz (redaktionell)
- Die als Existenzgrundlage im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG verstandene materielle Lebensgrundlage des Steuerpflichtigen umfasst den wesentlichen Teil seines Vermögens oder seiner Arbeitskraft, die es ihm ermöglicht, einen nachhaltigen Ertrag zu erzielen.
- Eine Gefahr für die Existenzgrundlage und die Fähigkeit zur Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG ist jedenfalls bei der Berührung des steuerlichen Existenzminimums anzunehmen.
- Eine Gefahr für die Existenzgrundlage und die Fähigkeit zur Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse ist über die Berührung des Existenzminimums hinaus auch anzunehmen, wenn der Verlust von mindestens 85 % des ertragbringenden Vermögens des Steuerpflichtigen droht.
- Der übliche Rahmen im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG beschreibt nicht das sozialrechtlich Notwendige, sondern das innerhalb der Vergleichsgruppe des Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands Übliche.
- Der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist nicht der allgemeine Rechtssatz zu entnehmen, dass Prozesskosten im Zusammenhang mit Erbstreitigkeiten oder Schenkungen den existentiellen Bereich des Steuerpflichtigen nicht zu berühren vermögen.
- Der Verlust der Existenzgrundlage im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG erfordert keinen dauerhaften Verlust der materiellen Lebensgrundlage.
- Die Zwangsläufigkeit von Zivilprozesskosten im Anschluss an eine Schenkung entfällt nicht deshalb, weil die Schenkungsannahme auf einem freien Willensentschluss des Steuerpflichtigen beruht.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Streitig ist die Berücksichtigung von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen.
Der Kläger erzielte im Streitjahr 2018 Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft aus dem Forstbetrieb „Forstgut M“. Daneben erzielte er Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Er lebte im Streitjahr von seiner – in der Zwischenzeit geschiedenen – Ehefrau getrennt.
Für die gesonderte Feststellung der Einkünfte aus dem vom Kläger betriebenen Forstbetrieb war das Finanzamt B zuständig (Steuernummer: X).
Der Kläger stand in den Jahren 1990 bis 2012 in einem Arbeitsverhältnis zur L GmbH mit Sitz in D. Im Jahr 2013 war der Kläger zunächst arbeitslos und stand sodann in einem Arbeitsverhältnis zur K oHG in E. Ab dem Jahr 2014 war der Kläger als angestellter Forstwirt in dem von ihm zum 1. Januar 2015 übernommenen Forstbetrieb „Forstgut M“ tätig, in dem er in etwa seit dem Jahr 1998 bereits die nebenberufliche Tätigkeit als Jagdaufseher übernommen hatte.
Mit notariellem Übergabe- und Altenteilvertrag vom…November 2014 übertrug Frau N (nachfolgend auch: „Übergeberin“) mit wirtschaftlicher Wirkung zum 1. Januar 2015 den Forstbetrieb „Forstgut M“ (nachfolgend auch: „Forstbetrieb“) unentgeltlich gegen Altenteilleistungen auf den Kläger. Der Forstbetrieb verfügte zum Zeitpunkt der Übernahme über in etwa XX ha Forstfläche. Die landwirtschaftlichen Nutzflächen waren verpachtet. Mitübertragen wurden ebenfalls drei vermietete Einfamilienhäuser „M 2, 4“.
Mit gesondertem notariellen Vertrag vom…Februar 2015 kaufte der Kläger von der Übergeberin einen zum Forstbetrieb gehörenden Reiterhof zu einem Kaufpreis von XX,XX €.
Der Kläger führte den Forstbetrieb selbstständig fort, den Reiterhof verpachtete er. Er ermittelte den Gewinn aus seinem Forstbetrieb nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch Einnahmen-Überschussrechnung. Dabei erfasste der Kläger die Gewinne aus dem Forstbetrieb und dem Betrieb des Reiterhofs in einer einheitlichen Gewinnermittlung. Die Einfamilienhäuser „M 2, 4“ vermietete der Kläger.
Neben dem von der Übergeberin erworbenen Grundbesitz war der Kläger in den Jahren 2015 bis 2018 ferner Eigentümer eines Drei-Familienhauses „F“ sowie einer weiteren Immobilie „G“.
In den - dem Streitjahr vorhergehenden - Jahren 2015 bis 2017 erzielten der Kläger und seine geschiedene Ehefrau (EF) folgende Einkünfte (alle Beträge in €):
|
2015 |
2016 |
2017 |
Einkünfte aus § 13 EStG |
XX,XX |
XX,XX |
XX,XX |
Einkünfte aus § 19 EStG (EF) |
XX,XX |
XX,XX |
XX,XX |
Einkünfte aus § 21 EStG |
XX,XX |
XX,XX |
XX,XX |
davon Vermietung M 2, 4 |
XX,XX |
XX,XX |
XX,XX |
Summe |
XX,XX |
XX,XX |
XX,XX |
Im Anschluss an die Übertragung des Forstbetriebs, des Reiterhofs sowie der drei Einfamilienhäuser „M 2, 4“ kam es zum Streit über die Wirksamkeit der von der Übergeberin abgegebenen Willenserklärungen. Die Übergeberin, vertreten von ihrem zum rechtlichen Betreuer bestellten Sohn, verlangte vom Kläger die Rückübertragung des Forstbetriebs, des Reiterhofs sowie der drei Einfamilienhäuser „M 2, 4“, hilfsweise die Grundbuchberichtigung. Zur Durchsetzung ihres Rückübertragungsverlangens erhob die Übergeberin zwei Klagen beim Landgericht R (Az. U und X) sowie zwei weitere Klagen beim Landge...