vorläufig nicht rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld für Kinder in Polen, wenn die Kindesmutter in Polen wegen Überschreitung der dortigen Einkommensgrenze keine Familienleistungen bezieht

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Zur Prüfungsreihenfolge bei Kindergeldfällen, die das Kindergeldrecht mehrerer EU-Mitgliedsstaaten betreffen.
  2. Ein Stpfl. mit Wohnsitz in der Bundesrepublik, hat für seine in Polen lebenden Kinder einen Kindergeldanspruch, sofern die Kindesmutter in Polen keinen konkurrierenden Kindergeldanspruch hat.
 

Normenkette

EStG §§ 62-63; EU-VO Nr. 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2

 

Tatbestand

Streitig ist die Frage, ob dem Kläger Kindergeld für seine in Polen lebenden Kinder zusteht.

Der Kläger lebt in Braunschweig. Er ist weder erwerbstätig, noch bezieht er Rente. Der Kläger ist Vater der am 22. April 1999 geborenen Zwillinge P und K. Mutter der Kinder ist die in Polen lebende Frau S. Die für die Zahlung von Familienleistungen in Polen zuständige Dienststelle hat mit Schreiben vom 11. August 2009 mitgeteilt, dass Frau S dort keinen Kindergeldantrag gestellt hat. Frau S hat mit Schreiben vom 31. August 2009 erklärt, dass sie nicht am Erhalt von Familienleistungen in Deutschland für ihre Kinder interessiert sei. Sie sei polnische Staatsbürgerin und stelle klar, dass sie nicht verpflichtet sei, ausländischen Institutionen irgendwelche Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der Weigerung von Frau S zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen ist nicht bekannt, ob sie im streitbefangenen Zeitraum erwerbstätig war und ob sie bei entsprechender Antragstellung für die beiden Kinder P und K Kindergeld erhalten würde.

Der Kläger ist weiterhin Vater des Sohnes F, der in der Slowakei lebt. Das Kindergeld für dieses Kinder bildet den Gegenstand des Klageverfahrens 3 K 154/11.

Der Beklagte hob mit Bescheid vom 13. Juli 2010 das dem Kläger zuvor gewährte Kindergeld für K und P mit Wirkung ab August 2010 auf, weil seiner Ansicht nach die Kindesmutter den vorrangigen Anspruch habe. Der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.

Der Kläger vertritt die Rechtsauffassung, dass ihm das Kindergeld für K und P zustehe. Der Kläger sei der einzige Anspruchsberechtigte nach deutschem Recht, weil nur er einen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe, nicht aber die Kindesmutter. § 64 EStG komme deshalb nicht zur Anwendung, weil er nur den Fall betreffe, dass zwei Personen nach deutschem Recht Ansprüche auf Kindergeld hätten. Die EU-Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 würden den Kreis der Anspruchsberechtigten nicht erweitern.

Der Kläger beruft sich auf Art. 7 der EU-Verordnung Nr. 883/2004, wonach Geldleistungen nicht aufgrund der Tatsache entzogen werden dürften, dass Familienangehörige in einem anderen als dem zur Zahlung verpflichteten Staat leben würden. Diese Bestimmung habe der Beklagte missachtet. Nach Art. 11 Abs. 3 e) der EU-Verordnung Nr. 883/2004 sei auf den Kläger ausschließlich deutsches Recht anwendbar. Aus Art. 67 der EU-Verordnung Nr. 883/2004 ergebe sich, dass dem Kläger Kindergeldansprüche auch für in einem anderen EU-Mitgliedsland lebende Familienangehörige zustehen würden.

Zwar würde nach der Prioritätsregel in Art. 68 Abs. 1 b) iii) EU-Verordnung Nr. 883/2004 ein vorrangiger Anspruch im Wohnsitzland des Kindes bestehen. Nach Art. 68 Abs. 2 sei jedoch in Höhe der Differenz zum Kindergeldanspruch im anderen Mitgliedsland Kindergeld zu gewähren. Dies sei hier einschlägig. Die Einschränkung in Art. 68 Abs. 2 Satz 3 greife nicht, weil es keine den Leistungsanspruch ausschließende deutsche Rechtsvorschrift gebe.

Auch Art. 60 der EU-Verordnung Nr. 987/2009 stehe dem Anspruch des Klägers nicht entgegen, weil dort geregelt sei, dass dann, wenn ein Elternteil einen Anspruch nicht geltend mache, dann die Behörde den Antrag des anderen Elternteils berücksichtige. Da hier seine geschiedene Frau keine Kindergeldansprüche in Deutschland geltend gemacht habe, sei sein Anspruch positiv zu bescheiden.

Die Entscheidungen des EuGH, auf die sich der Beklagte berufe, seien nicht einschlägig, weil sie einerseits keine Kindergeldleistungen, sondern sozialrechtliche Leistungsansprüche des Ehegatten eines Arbeitnehmers zum Gegenstand hätten und sich zudem auf die inzwischen außer Kraft getretenen EU-Verordnungen Nr. 1408/71 bzw. 574/72 beziehen würden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Aufhebungsbescheid vom 13. Juli 2010 und die Einspruchsentscheidung vom 16. März 2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Meinung, dass das Kindergeld für P und K nach der EU-Verordnung Nr. 883/2004 und der zugehörigen Durchführungsverordnung Nr. 987/2009 nicht dem Kläger, sondern der Kindesmutter zustehe.

Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 EU-Verordnung Nr. 987/2009 sei bei der Anwendung der Art. 67 und 68 der EU-Verordnung Nr. 883/2004 die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle Familienangehörigen unter die Rechtsvorschriften des zus...

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