Entscheidungsstichwort (Thema)
Verstoß gegen das Zitiergebot bei Einführung der Umsatzsteuernachschau zum 1.1.2002 führt nicht zur Nichtigkeit des gesamten UStG
Leitsatz (redaktionell)
- Zur Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes nach § 125 Abs. 1 AO.
- Ein Verwaltungsakt ist nicht nichtig, weil er auf ein für verfassungswidrig gehaltenes, aber vom BVerfG noch nicht für verfassungswidrig erklärtes Gesetz gestützt wird.
- Das UStG enthält keinen Hinweis darauf, das durch die zum 1.1.2002 eingeführte Umsatzsteuernachschau das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG)eingeschränkt ist.
- Ein möglicher Verstoß gegen das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG) bei Einführung der Umsatzsteuernachschau zum 1.1.2002 führt nicht zur Nichtigkeit des gesamten UStG.
Normenkette
AO § 125; UStG § 27b; GG Art. 19 Abs. 1 S. 2
Streitjahr(e)
2005
Nachgehend
Tatbestand
Der Beklagte setzte die Umsatzsteuer 2005 nach geschätzten Besteuerungsgrundlagen fest. Dabei ging er von steuerpflichtigen Lieferungen, sonstigen Leistungen und unentgeltlichen Wertabgaben in Höhe von 8.000,-- € aus; Vorsteuern wurden nicht berücksichtigt. In den beiden vorherigen Veranlagungszeiträumen ist die Umsatzsteuer ebenfalls im Schätzungswege ermittelt worden (geschätzte Umsätze in Höhe von 6.145,-- DM für 2003 und in Höhe von 7.705,-- € in 2004). Für 2002 hatte der Kläger letztmals eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung abgegeben und Umsätze in Höhe von 140.430,-- € und Vorsteuern in Höhe von 16.288,57 € erklärt.
Gegen den Bescheid vom 6. August 2007 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 18. Oktober 2007 (Rechtsbehelfsnummer 1398/2007) richtet sich die Klage vom 5. November 2007.
Der Kläger begehrt die Feststellung der Nichtigkeit der o.g. Bescheide wegen Verstoßes des Umsatzsteuergesetzes (UStG) gegen das Zitiergebot gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG).
Der Kläger ist als film- und freischaffender Künstler tätig. Er ist der Auffassung, dass die Einkünfte aus dieser Tätigkeit mangels einer verfassungsgemäßen Ermächtigungsgrundlage nicht der Umsatzbesteuerung unterliegen.
Dies folgert er daraus, dass seine Tätigkeit der Kunstfreiheit unterfalle. Die Kunstfreiheit werde gemäß Art. 5 Abs. 3 GG vorbehaltlos (schrankenlos) gewährt und könne daher nicht mittels einfachen (Steuer)Gesetzes eingeschränkt werden.
Als Verfassungsvorbehalte (verfassungsimmanente Schranken) des Art. 5 Abs. 3 GG kämen nur gleichrangige Grundrechte, oberste Verfassungswerte, Sittengesetze, Treue- und Verwirkungsvorbehalte in Betracht (Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 5 Abs. 3 Rz. 64). Die Steuerpflicht sei gerade kein im GG verankertes Gut mit Verfassungsrang und könne daher nicht zur Einschränkung der Kunstfreiheit herangezogen werden.
Außerdem verstoße das UStG gegen Art 19 Abs. 1 Satz 2 GG (Zitiergebot). Zum einen enthalte es keinen Artikelvorbehalt hinsichtlich Art. 5 Abs. 3 GG. Seit dem Inkrafttreten der Umsatzsteuer-Nachschau (§ 27b UStG) zum 01.01.2002 komme hinzu, dass das UStG insgesamt zu einem Ermächtigungsgesetz erhoben worden sei. Denn es werde Finanzbeamten dadurch im Rahmen der Steuerfestsetzung ohne richterlichen Beschluss gestattet, in das Grundrecht des Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) nach Maßgabe des UStG einzugreifen und dieses notfalls mit unmittelbaren Zwang gegen Personen (Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Person gemäß Art. 2 Abs. 2 GG) durchzusetzen. Auch hinsichtlich dieser Grundrechte (Art. 13 und Art. 2 Abs. 2 GG) enthalte das UStG keinen Artikelvorbehalt.
Die genannten Verstöße gegen die Verfassung seien besonders schwerwiegend und für jeden verständigen Durchschnittsadressaten offenkundig. Dies habe zur Folge, dass die auf Grundlage des UStG erlassenen Bescheide nichtig seien. Einer gesonderten Feststellung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bedürfe es insoweit nicht.
Der Kläger beantragt,
die Nichtigkeit des Umsatzsteuerbescheides 2005 vom 6. August 2007 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 18. Oktober 2007 festzustellen und den Beklagten zu verurteilen, diese Bescheide ersatzlos aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 25. November 2007 beantragte der Prozessbevollmächtigte im vorliegenden Verfahren Akteneinsicht. Unter dem 27. November 2007 wies der Vorsitzende des Senats darauf hin, dass die Umsatzsteuerakte 2005 sich noch beim Beklagten befände. Dort werde sie bis zum 6. Dezember 2007 zur Akteneinsicht bereitgehalten. Danach könne die Akte – so der Vorsitzende weiter – noch beim Finanzgericht eingesehen werden. Eine Übersendung an ein anderes Gericht sei im Hinblick auf den nahenden Verhandlungstermin nicht möglich. Der Termin zur mündlichen Verhandlung war zuvor mit Ladung vom 20. November 2007 auf den 19. Dezember 2007 bestimmt worden. Zu diesem Termin waren noch weitere Verfahren des Klägers geladen (s. Ladung vom 20. November 2007).
Mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2007 erklärte der Kläger, dass er nicht bere...