Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang und Reichweite der Grundsteuerbefreiung in § 3 Abs. 1 Nr. 4 GrStG verfassungsgemäß
Leitsatz (redaktionell)
- Zu den Voraussetzungen der Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO.
- Ein Musterverfahren vor dem BFH ist kein vorgreifliches Rechtsverhältnis i. S. des § 74 FGO.
- Umfang und Reichweite der Grundsteuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 GrStG sind verfassungsrechtlich unbedenklich; insbesondere ist kein Verstoß gegen Art. 3 GG bzw. Art. 4 GG gegeben.
Normenkette
GrStG § 3 Abs. 1 Nr. 4; GG Art. 3-4
Streitjahr(e)
2002
Nachgehend
BFH (Urteil vom 30.06.2010; Aktenzeichen II R 19/09) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Reichweite der Grundsteuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 Grundsteuergesetz (GrStG).
Der Kläger ist ein bundesweit tätiger islamischer Dachverband. Nach § 3 seiner Satzung bietet er den in Europa lebenden Menschen islamischen Glaubens die Möglichkeit an, ihre Religion auszuüben. Zu diesem Zweck unterstützt er u. a. Gemeinden durch religiöse und kulturelle Aktivitäten, unterweist im islamischen Glauben und Lehre und in der Wahrung islamischer kultureller Werte, fördert muslimische Jugendliche und widmet sich dem moralischen Schutz der Menschen islamischen Glaubens. Eigenen Bekundungen zufolge hat er etwa 10.000 Mitglieder und ist damit der zweitgrößte islamische Dachverband in Deutschland.
Der Kläger war zunächst durch Bescheid des Finanzamts Köln-Nord vom … unter Widerruf als gemeinnützig anerkannt. Der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen schätzt ihn als Religionsgemeinschaft nach den Art. 140 Grundgesetz (GG), 137 Weimarer Reichsverfassung (WRV) ein.
Im Jahre 1991 erwarb der Kläger das bebaute Grundstück D-Str. 14 in Vechta und baute es anschließend um. Nach Abschluss der Bauarbeiten führte das Finanzamt eine Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1995 durch und stellte den Einheitswert mit 39.200 DM fest. Bei dieser Wertberechnung hat es Räume, die für religiöse Zwecke benutzt werden, nicht erfasst.
Im Anschluss an eine Betriebsprüfung erkannte das Finanzamt Köln-Nord die Gemeinnützigkeit rückwirkend ab 1997 ab. Als der Beklagte davon erfuhr, führte er mit Bescheid vom … eine Art- und Wertfortschreibung auf den 1. Januar 2002 durch und stellte den Einheitswert auf 82.400 DM fest. Bei dieser Wertberechnung hat er auch die zu religiösen Zwecken genutzten Räume erfasst, die bisher noch nicht in die Einheitsbewertung eingeflossen waren.
Mit der dagegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage erstrebt der Kläger die Aufhebung des Fortschreibungsbescheides. Er ist der Auffassung, dass er weiterhin von der Grundsteuer befreit sei. Nachdem ihm der gemeinnützige Status aberkannt worden sei, liege der Befreiungsgrund des § 3 Abs. 1 Nr. 4 GrStG vor. Nach dieser Norm sei Grundbesitz einer Religionsgesellschaft, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes sei, von der Grundsteuer befreit. Nach Satz 2 der Norm stünden diesen Religionsgesellschaften jüdische Kultusgemeinden gleich, auch wenn sie nicht Körperschaften des öffentlichen Rechtes seien. Die Erweiterung der Steuerbefreiung auf jüdische Kultusgemeinden sei verfassungskonform in der Weise auszulegen, dass sie auch auf ihn, den Kläger, anzuwenden sei. Eine Beschränkung der Steuerbefreiung lediglich auf jüdische Kultusgemeinden verstoße gegen das Gleichheitsgrundrecht aus Art. 3 GG. Erst unlängst habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss zur Erbschaft- und Schenkungsteuer erkannt, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Steuertatbestandes die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne dieser Belastungsgleichheit umzusetzen habe. Daran fehle es, wenn nur jüdische Kultusgemeinden von der Grundsteuer verschont blieben, vergleichbare Einrichtungen islamischer Gläubiger jedoch nicht. Außerdem sei der Staat zu weltanschaulich-religiöser Neutralität verpflichtet. Es sei ihm untersagt, bestimmte Bekenntnisse zu privilegieren und andere auszugrenzen. Die benachteiligende Ungleichbehandlung einer Glaubensgemeinschaft im Vergleich zu einer anderen verletzte zudem sein Grundrecht aus Art. 4 GG.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hingewiesen, dass unter dem 14. November 2008 diverse Urteile des Finanzgerichts Düsseldorf zu vergleichbaren Sachverhalten ergangen seien. Er – der Prozessbevollmächtigte – habe die Absicht, gegen jene Urteile Revisionen einzulegen und beantrage deshalb, das Verfahren auszusetzen, ferner die Anordnung der Verfahrensruhe.
Der Kläger beantragt,
die Aussetzung des Verfahrens nach § 74 Finanzgerichtsordnung,
hilfsweise,
den Bescheid vom … über die Feststellung des Einheitswertes auf den 01.01.2002 (Wertfortschreibung) für das in Vechta belegene Grundstück D-Str. 14 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom … aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er weist darauf hin, dass dem Kläger die begehrte Grundsteuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 GrStG nicht zustehe. Der Wortl...