Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsruhe gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO
Leitsatz (redaktionell)
- Ein Stpfl. wird in erster Linie durch den zu Grunde liegenden Steuerbescheid belastet, nicht zusätzlich oder gar allein durch eine Einspruchsentscheidung.
- Gegenstand der Anfechtungsklage ist der ursprüngliche VA in Gestalt der Einspruchsentscheidung.
- Für die gesetzliche Zwangsruhe des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO kommt es weder darauf an, wie die Vorinstanz entschieden hat, noch darauf, wie der BFH voraussichtlich entscheiden wird.
- Die von der OFD vorgegebenen Musterschreiben und –entscheidungen zur Frage, ob ein Einspruchsverfahren ruht, genügen nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung i. S. des § 363 Abs. 2 Satz 4 AO.
Normenkette
AO § 363 Abs. 2
Streitjahr(e)
2006, 2007
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob eine Teileinspruchsentscheidung rechtmäßig ergangen ist.
Die Kläger sind Eheleute und wurden in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre vom 13. November 2008 ergingen unter Hinweis auf § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Abgabenordnung (AO) vorläufig im Hinblick auf die beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen, die Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwendungsentschädigung für Mitglieder des Bundestages und der Anwendung des § 24b Einkommensteuergesetz (EStG). Der Einkommensteuerbescheid für 2006 erging darüber hinaus vorläufig im Hinblick auf die Nichtabziehbarkeit von Steuerberatungskosten als Sonderausgaben.
Gegen diese Bescheide legten die Kläger Einspruch ein. Sie machten geltend, der Vorläufigkeitsvermerk der angefochtenen Bescheide sei nicht hinreichend bestimmt, nicht hinreichend verständlich und nicht hinreichend umfassend formuliert. Wegen der daraus folgenden möglichen Nichtigkeit der Einkommensteuerbescheide sei im Hinblick auf das beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängige Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen III R 39/08 das Einspruchsverfahren daher ruhend zu stellen. Zudem sei das Ruhen des Verfahrens aufgrund weiterer anhängiger Verfahren hinsichtlich des Abzuges geleisteter Rentenversicherungsbeiträge als vorweg genommene Werbungskosten sowie der Kürzung des Sonderausgabenhöchstbetrages um steuerfreie Arbeitgeberanteile zur gesetzlichen Rentenversicherung geboten. Der Beklagte – das Finanzamt (FA) – nahm hierzu unter Verwendung eines von der Oberfinanzdirektion (OFD) vorgegebenen Musterschreibens ablehnend Stellung. Das Revisionsverfahren III R 39/08 sei für die vorliegenden Einsprüche nicht entscheidungserheblich, da sich der Vorläufigkeitsvermerk nicht mehr auf einzelne Verfahren beziehe und gegenüber der Formulierung, über die der BFH zu entscheiden habe, eine verfahrensrechtliche Besserstellung beinhalte. Selbst wenn der BFH die Unwirksamkeit des Vorläufigkeitsvermerks bestätigen sollte, werde die Finanzverwaltung hieraus keine negativen Folgen ziehen. Ohnehin sei die Nichtigkeit der Steuerbescheide aufgrund eines unwirksamen Vorläufigkeitsvermerks nicht denkbar. Es sei beabsichtigt, eine Teileinspruchsentscheidung zu erlassen. Vorsorglich werde gemäß § 363 Abs. 2 Satz 4 AO die Fortsetzung des Verfahrens erklärt.
Die Kläger nahmen ihren Einspruch nicht zurück und wiesen hinsichtlich einer möglicherweise ergehenden Teileinspruchsentscheidung erneut auf das vor dem BFH anhängige Verfahren hin. Gleichwohl erließ das FA unter dem 17. Februar 2009 Teileinspruchsentscheidungen. Es entschied dabei nicht über die Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zur Rentenversicherung als vorweg genommene Werbungskosten, die Kürzung des Sonderausgabenhöchstbetrages um steuerfreie Arbeitgeberanteile zur gesetzlichen Rentenversicherung und die einfachgesetzliche Auslegung der Normen, hinsichtlich derer die angefochtenen Bescheide wegen verfassungsrechtlicher Fragestellungen teilweise für vorläufig erklärt worden sind. Soweit über die Einsprüche entschieden wurde, wies das FA diese als unbegründet zurück. Das FA verwendete hierzu erneut eine Dokumentvorlage der OFD. Darin werden die bisherigen Ausführungen des FA vertieft, ohne näher auf die Fortsetzungsmitteilung nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO einzugehen.
Hiergegen richtet sich nunmehr die Klage. Die Teileinspruchsentscheidungen seien bereits nichtig. Es müsse sich aus der Teileinspruchsentscheidung die Höhe der Steuer, über die entschieden werde, zweifelsfrei ergeben. Die Teileinspruchsentscheidungen seien isoliert aufzuheben. Denn aufgrund des vor dem BFH anhängigen Verfahrens III R 39/08 seien die Voraussetzungen der gesetzlichen Zwangsruhe erfüllt. Die Fortsetzungsmitteilung des FA sei nicht ermessensgerecht. Es sei Sinn und Zweck des § 363 Abs. 2 AO, die Finanzämter und die Gerichte zu entlasten und die entsprechenden Verfahren rationell bearbeiten zu können. Das FA habe keine Ermessenserwägungen angestellt und sich dementsprechend nicht mit dem Sinn der Vorschrift auseinander gesetzt.
Die Kläger beantragen,
die Teile...