Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Abgeltung von Fahrten zur Überschusseinkünfteerzielung durch 1 v.H.-Regel
Leitsatz (redaktionell)
- Mit „Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte” i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Abs. 2 EStG sind nur Fahrten gemeint, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen. Werden Arbeitsstätten im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen anderer Arbeitgeber angefahren, schließt das die Anwendung des § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG aus.
- Die Nutzung eines überlassenen Pkw im Rahmen eines weiteren Arbeitsverhältnisses stellt einen zusätzlichen Sachbezug dar, der als Arbeitslohn zu erfassen ist. Auch wenn § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG ausdrücklich auf § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG verweist, tritt dadurch keine Abgeltungswirkung durch die Anwendung der 1-v. H.-Regelung für sämtliche nicht für den Arbeitgeber durchgeführten Fahrten ein.
- Vielmehr ist ein zusätzlicher Sachbezug zu erfassen, der nach den allgemeinen Grundsätzen des § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG zu bemessen ist.
Normenkette
EStG § 8 Abs. 2 S. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 2
Streitjahr(e)
2002, 2004
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 22.01.2008; Aktenzeichen VI R 38/07) |
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungs- und Nachforderungsbescheids über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge für den Zeitraum Januar 2002 bis Dezember 2004.
Die Klägerin war in den Streitjahren 2002 bis 2004 Arbeitgeberin der Eheleute A (EF) und B (EM), die in diesem Zeitraum zu jeweils der Hälfte an deren Stammkapital beteiligt waren. EF war Geschäftsführerin der Klägerin, EM ebenfalls bei ihr, der Klägerin, angestellt. Sitz und Geschäftsleitung der Klägerin befanden sich im privaten Wohnhaus der Eheleute. Die Eheleute waren auch Gesellschafter und Arbeitnehmer zweier weiterer GmbHs, die ihre Geschäftsbetriebe in der Nähe hatten, nämlich in X und in Y. Die Klägerin stellte den Eheleuten jeweils einen PKW zur Verfügung. EF durfte ihren PKW nach dem Anstellungsvertrag „privat nutzen”, EM seinen PKW nach dem Nachtrag zum Anstellungsvertrag „auch zu privaten Zwecken”. Die Eheleute nutzten die ihnen überlassenen PKW auch zur Ausübung ihrer Arbeitnehmertätigkeiten für weitere GmbH. So fuhr EF im Zeitraum Januar 2002 bis Dezember 2004 mehrmals pro Monat nach X (einfache Entfernung 10 km) und EM an 110 Tagen pro Jahr nach Y (einfache Entfernung 15 km).
Die Kosten für die beiden Fahrzeuge erfasste die Klägerin in den Streitjahren in folgender Höhe als Betriebsausgaben in ihren Gewinnermittlungen:
Jahr |
Höhe der Aufwendungen |
2002 |
43.960 € |
2003 |
45.005 € |
2004 |
44.702 € |
Die Klägerin versteuerte die PKW-Überlassung an die Eheleute nach der sogenannten 1 v.H.-Regelung, indem sie jeweils 1 v.H. des Bruttolistenpreises des jeweils überlassenen PKW pro Monat der Nutzung als Arbeitslohn erfasste und versteuerte. Für die mit den überlassenen PKW durchgeführten Fahrten der Eheleute für die andere GmbH setzte die Klägerin keinen weiteren geldwerten Vorteil an. Die Klägerin gab entsprechende Lohnsteueranmeldungen ab.
Im Anschluss an eine Lohnsteueraußenprüfung kam der Beklagte, dem Außenprüfer folgend, zu der Auffassung, für die Fahrten der Eheleute nach X bzw. Y sei ein zusätzlicher geldwerter Vorteil als Arbeitslohn zu erfassen und zu versteuern. Diese Fahrten seien nicht als „private” Fahrten mit der Anwendung der 1 v.H.-Regelung abgegolten. Es sei vielmehr nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG zusätzlich für jeden Kalendermonat der Nutzung ein geldwerter Vorteil von 0,03 v.H. des Listenpreises für jeden Kilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anzusetzen. Die Fahrten der Eheleute nach X bzw. Y seien nicht etwa Fahrten zwischen mehreren Betriebsstätten, sondern solche zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Die Räumlichkeiten der Klägerin im privaten Wohnhaus der Eheleute seien nämlich keine Betriebsstätte, da sie in die private Sphäre eingebunden seien. Diese Folge ergebe sich bei Anwendung der im BFH-Urteil vom 25. November 1999 IV R 44/99 (BFH/NV 2000, 699) genannten Grundsätze.
Im Einzelnen setzte der Beklagte einen zusätzlichen geldwerten Vorteil in der Weise an, dass er davon ausging, die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte der Eheleute führten bei diesen zu Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, so dass insoweit der Klägerin als Arbeitgeberin nach § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG die Versteuerung mit einem Pauschalsteuersatz von 15 v.H. möglich sei. Für den darüber hinaus gehenden Arbeitslohn der Eheleute hafte die Klägerin als Arbeitgeberin.
Es ergaben sich folgende Beträge:
Ehemann
Jahr |
AL gesamt |
davon Haftung |
Nachforderung |
2002 |
3.649,20 € |
2.641,20 € |
1.008,00 € |
2003 |
4.222,50 € |
3.214,50 € |
1.008,00 € |
2004 |
5.005,60 € |
4.195,60 € |
810,00 € |
Ehefrau
Jahr |
AL gesamt |
davon Haftung |
Nachforderung |
2002 |
1.664,63 € |
1.016,63 € |
648,00 € |
2003 |
1.584,00 € |
936,00 € |
648,00 € |
2004 |
1.584,00 € |
1.044,00 € |
540,00 € |
Der Beklagte forderte mit Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 12. August 2005 die Pauschalsteuer von der Klägerin nach und nahm sie für die darüber hinaus anzusetzende Lohn...