Leitsatz
1. Allein der Umstand, dass zur Bestimmung der zutreffenden Höhe des steuerlichen Einlagekontos nicht die mechanische Übernahme der im Jahresabschluss angegebenen Kapitalrücklage ausreicht, sondern auf einer zweiten Stufe noch weitere Sachverhaltsermittlungen zur tatsächlichen Höhe des steuerlichen Einlagekontos erforderlich sind, schließt eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 Satz 1 AO nicht aus.
2. Zumindest in denjenigen Fällen, in denen die offenbare Unrichtigkeit auf der versehentlichen Nichtangabe eines Werts in der Steuererklärung beruht, ist § 129 Satz 1 AO bereits dann anwendbar, wenn für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich erkennbar ist, dass die Nichtangabe fehlerhaft ist (Anschluss an das BFH-Urteil vom 22.05.2019 – XI R 9/18, BFHE 264, 393, BStBl II 2020, 37). Entsprechendes muss gelten, wenn (nur) die Angabe einer Endsumme mit 0 € erfolgt und dies erkennbar unrichtig ist.
Normenkette
§ 129 AO
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine im Jahr 2010 gegründete GmbH. An ihrem Stammkapital i.H.v. 25.000 EUR waren im Streitjahr (2012) zunächst die Gründungsgesellschafter A und B mit einem Geschäftsanteil von jeweils 12.500 EUR beteiligt.
Mit notariellem Vertrag vom 31.8.2012 schlossen A und B mit der Klägerin einen Einbringungsvertrag, in dem sie sich verpflichteten, zur Stärkung des Kapitals der Klägerin voll werthaltige Darlehensforderungen gegenüber der C-GbR i.H.v. 245.000 EUR, 100.000 EUR und 250.000 EUR sowie Geldbeträge i.H.v. 95.000 CHF, 150.000 EUR, 500.000 EUR und 1.200.000 CHF unentgeltlich einzubringen. Die Einlagen sollten als Kapitalrücklage gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB ausgewiesen werden.
Am 19.10.2012 übertrugen sowohl A als auch B Geschäftsanteile an der Klägerin im Nennwert von jeweils 6.250 EUR unentgeltlich auf ihre Kinder D und F.
Die KSt-Erklärung für 2012 und die Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2012 wurden dem FA am 15.5.2014 elektronisch übermittelt; zugleich übersandte die Klägerin dem FA ihren Jahresabschluss zum 31.12.2012 in Papierform.
Der Jahresabschluss weist eine Kapitalrücklage i.S.d. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB i.H.v. 2.315.017,50 EUR aus und erläutert diese Bilanzposition wie folgt: "Mit Einbringungsvertrag vom 31.08.2012 haben die Gesellschafter ... [A] und ... [B] ihre Darlehensforderungen an die ... [C-GbR] i.H.v. 245.000 EUR und 100.000 EUR sowie 250.000 EUR per 15.09.2012 in die Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB eingebracht. Darüber hinaus wurde die Einbringung von Geldbeträgen von 95.000 CHF ... [A] und 1.200.000 CHF ... [B] beschlossen. Die Geldbeträge wurden per 25.09.2012 auf ein Girokonto der ... [X-Bank] eingezahlt." Im Umlaufvermögen sind Darlehensforderungen gegenüber der C-GbR i.H.v. 595.000 EUR (Vorjahr 0 EUR) und Guthaben bei der X-Bank i.H.v. 1.072.420 EUR (Vorjahr 0 EUR) sowie bei der Y-Bank i.H.v. 500.000 EUR und 150.084,67 EUR (Vorjahr jeweils 0 EUR) ausgewiesen.
In der Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2012 war für den Schluss des vorangegangenen und für den Schluss des laufenden Wirtschaftsjahrs ein Bestand des steuerlichen Einlagekontos von jeweils 0 EUR angegeben.
Entsprechend dieser Erklärung stellte das FA mit Bescheid vom 3.6.2014 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG zum 31.12.2012 ein steuerliches Einlagekonto i.H.v. 0 EUR fest.
Am 3.6.2015 beantragte die Klägerin, diesen Feststellungsbescheid nach § 129 AO zu ändern und den Bestand des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2012 mit 2.315.017,50 EUR festzustellen. Diesen Antrag lehnte das FA mit Bescheid vom 6.8.2015 ab. Der Einspruch und die Klage blieben erfolglos (FG München, Urteil vom 17.9.2018, 7 K 2805/17, Haufe-Index 12416708, EFG 2019, 10).
Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin hat der BFH das FG-Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das FG muss im zweiten Rechtsgang noch Feststellungen zur korrekten Höhe des Bestands des Einlagekontos treffen.
Hinweis
1. Mit der Besprechungsentscheidung hat der BFH seine Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des § 129 AO in "Nichtangabe-Konstellationen" fortentwickelt.
2. In der körperschaftsteuerrechtlichen Praxis sind in der Vergangenheit immer wieder Fälle an die Gerichtsbarkeit herangetragen worden, die verfahrensrechtliche Änderungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Feststellung des Bestands des Einlagekontos i.S.d. § 27 KStG betreffen (z.B. BFH, Beschluss vom 10.12.2019, I B 35/19, BStBl II 2020, 517, BFH/NV 2020, 819): Der Steuerpflichtige erklärt den Bestand des Einlagekontos mit null EUR, obgleich dies erkennbar nicht richtig sein kann, weil etwa erhebliche Einlagen unterjährig durchaus getätigt wurden. Tritt dann Bestandskraft des Feststellungsbescheids ein, stehen die Steuerpflichtigen vor dem Problem, ob der materiell fehlerhafte Bescheid noch einmal geändert werden kann. Ohne Änderungsmöglichkeit bleibt den Gesellschaftern dauerhaft die Möglichke...