Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorenthalten. Veruntreuen. Arbeitsentgelt. Urteil. Berufungsurteil. Revision. Verfahrensrüge. Sachrüge. Strafausspruch. Einzelstrafe. Einbeziehung. Gesamtstrafe. Gesamtfreiheitsstrafe. Gesamtstrafenbildung. Strafaussetzung. Bewährung. nachträglich. Aufklärungspflicht. Gutachten. Sachverständiger. Sachverständigengutachten. Schätzung. Selbstleseverfahren. Protokoll. Hauptverhandlungsprotokoll. Vollendung. Tatvollendung. Beendigung. Tatbeendigung. Unterlassungsdelikt. Nichtabführung. Beitragspflicht. Beitragsentrichtung. Beitragsschuldner. Einzugsstelle. Verschlechterung. Verschlechterungsverbot. Einsatzstrafe
Leitsatz (amtlich)
1. Maßgeblicher Zeitpunkt der Begehung der Tat i.S.d. § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB ist derjenige der Tatbeendigung (st.Rspr., u.a. Anschluss an BGH, Beschl. v. 16.09.2014 - 3 StR 423/14, 16.02.2016 - 4 StR 476/15 und 08.12.2015 - 3 StR 430/15 [jeweils bei juris]; OLG Bamberg Beschl. v. 17.03.2016 - 3 OLG 8 Ss 18/16 = ZWH 2016, 208 = wistra 2016, 332 = StV 2017, 117 = OLGSt StGB § 263 Nr. 29).
2. Bei Taten nach § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB tritt Tatbeendigung erst mit Erlöschen der Beitragspflicht ein (u.a. Anschluss BGH Beschl. v. 26.07.2017 - 1 StR 180/17 = wistra 2018, 206, 28.10.2008 - 5 StR 166/08 = BGHSt 53, 24 und 27.09.1991 - 2 StR 315/91 = wistra 1992, 23).
2. Hat das Tatgericht rechtsfehlerhaft die Einzelstrafen aus einem früheren Urteil zur Bildung einer Gesamtstrafe herangezogen, ist die neu festzusetzende Gesamtstrafe aufgrund des revisionsrechtlichen Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) in dem Rahmen zu halten, der sich aus der Differenz zwischen der aufgehobenen und der im früheren Verfahren gebildeten Gesamtstrafe ergibt; dies gilt auch, wenn die Einsatzstrafe höher ist als die neu festzusetzende Gesamtstrafe (Anschluss an BGH, Beschl. v. 20.09.2012 - 3 StR 220/12 = NStZ-RR 2013, 6 und 07.12.1990 - 2 StR 513/90 = NJW 1991, 1763 = NStZ 1991, 182 = StV 1993, 26 = MDR 1991, 359 = JR 1991, 513 = BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 4).
Normenkette
StGB § 55 Abs. 1 Sätze 1-2, § 266a; StPO § 154 Abs. 2, § 244 Abs. 2, § 249 Abs. 2, §§ 274, 354 Abs. 1, § 358 Abs. 2 S. 1
Tenor
I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 19. Dezember 2017 unter Verwerfung der weitergehenden Revision
- im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben und
- im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen insoweit aufgehoben, als ein 106.857,71 Euro übersteigender Betrag verhängt wurde.
II.
Der Angeklagte wird zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt.
III.
Die Sache wird hinsichtlich der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung und der Kosten der Revision an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht (Schöffengericht) hat den Angeklagten mit Urteil vom 21.07.2017 wegen 35 Fällen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt, davon in 31 Fällen jeweils in Tateinheit mit einem weiteren Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, schuldig gesprochen und ihn unter Einbeziehung der "mit Urteil des Amtsgerichts V. vom 04.12.2014 [...] nach Maßgabe des Berufungsurteils des Landgerichts V. vom 10.12.2015 verhängten Strafe" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt. Gegen das Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Das Landgericht hat in der Berufungshauptverhandlung das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit dem Angeklagten 4 Fälle des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt zur Last lagen. Nach einer der Teileinstellung entsprechenden Berichtigung des Schuldspruchs hat die Strafkammer den Angeklagten unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus der Entscheidung des Landgerichts V. vom 10.12.2015 in Höhe von 1 Jahr 8 Monaten und 1 Jahr 2 Monaten zur Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 6 Monaten verurteilt, den "Verfall" von Wertersatz in Höhe eines Betrages von 108.214,00 Euro angeordnet und die weitergehenden Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft verworfen. Die verhängten Einzelstrafen belaufen sich auf Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 30 Euro bis zu Freiheitsstrafe von 10 Monaten. Der Angeklagte wendet sich mit seiner Revision gegen das Urteil des Landgerichts. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
II.
Die Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revision hat hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
a) Die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO dringt schob deshalb nicht durch, weil das Gericht ein Sachverständigengutachten eingeholt hat, mit dessen Zuhilfenahme es zulässiger Weise im Schätzwege die nicht abgeführten Mindestsozialversicherungsbeiträge errechnet ha...