Leitsatz (amtlich)
Verfahrenskostenhilfe für einen Antrag auf Mitbenutzung der (gemieteten) Ehewohnung kann nicht allein mit der Begründung versagt werden, dass eine unbillige Härte i.S.v. § 1361b Abs. 1 BGB nicht dargelegt wurde. Denn im Gegensatz zur Überlassung der Ehewohnung ist die Rechtsverfolgung auf Einräumung des Mitbesitzes, die auf § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB, auf § 861 BGB sowie auf § 1361b BGB analog gestützt werden kann, gerichtet.
Der Anspruch auf Einräumung des Mitbesitzes bzw. auf Mitnutzung der Ehewohnung kann im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gem. §§ 119 Abs. 1, 49 FamFG geltend gemacht werden.
Verfahrensgang
AG Cuxhaven (Aktenzeichen 11 F 1215/22) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers vom 12. Juli 2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Cuxhaven vom 4. Juli 2022 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Behandlung sowie zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die Mitbenutzung der bisherigen Ehewohnung.
Die Beteiligten haben am ... August 2021 geheiratet und lebten seither in der gemeinsam gemieteten Wohnung im M. ... in C. zusammen. Aus der Ehe sind keine gemeinsamen Kinder hervorgegangen. Der Antragsteller behauptet, die Antragsgegnerin habe ihn kurz nach der Trennung aus der gemeinsamen Ehewohnung herausgeworfen und verweigere ihm seither den Zutritt zur Ehewohnung. Aus diesem Grund habe er ohne Zugriff auf seine persönlichen Sachen die Nächte in Notunterkünften verbringen müssen. Bis er eine neue Wohnung gefunden habe, sei es der Antragsgegnerin zuzumuten, die Wohnung weiterhin mit ihm gemeinsam zu nutzen, zumal es zu keinerlei handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten gekommen sei.
Das Amtsgericht hat im angefochtenen Beschluss dem Antragsteller die von ihm nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe mit der Begründung versagt, dass eine Wohnungszuweisung nach § 1361b BGB nur in Betracht komme, um eine unbillige Härte zu vermeiden, die vorliegend nicht dargetan sei. Darüber hinaus sei die Wohnungszuweisung in der Regel nicht auf eine Mitbenutzung gerichtet.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit der er in entsprechender Anwendung des § 1361b BGB als Mitmieter einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Mittelsitzes an der Ehewohnung verfolgt. Die Antragsgegnerin habe ohne Vorliegen von triftigen Gründen durch verbotene Eigenmacht ihn aus der Ehewohnung ausgesperrt, ohne selbst einen Antrag auf Zuweisung der Ehewohnung zu stellen, zumal eine unbillige Härte nicht gegeben sei.
II. Die gemäß §§ 113 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
Dem Begehren des Antragstellers auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes an der Ehewohnung kann eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht von vornherein abgesprochen werden.
1. Die Rechtsverfolgung des Antragstellers ist dahingehend auszulegen, dass dieser nicht eine gerichtliche Regelung zur Überlassung der Ehewohnung zur alleinigen Nutzung oder zur Mitbenutzung begehrt. Hierfür wäre, worauf das Amtsgericht zutreffend hingewiesen hat, nach § 1361b Abs. 1 BGB eine unbillige Härte erforderlich. Auch wenn in der Antragsschrift der Verfahrensgegenstand als "wegen Wohnungszuweisung" umschrieben ist, bringt der Antragsteller in seinem Antrag zu Ziffer 1 sowie in der hierauf bezogenen Antragsbegründung hinreichend zum Ausdruck, dass er nur die Mitbenutzung der Ehewohnung anstrebt, wie sie bis zur Trennung und danach von den Beteiligten gelebt worden sei.
2. Ein Anspruch auf Mitbenutzung und Mitbesitz der Ehewohnung folgt aus § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB und der dort geregelten Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft (vgl. BeckOGK/Erbarth, § 1353 Rn. 389 ff.; Grüneberg/Siede, BGB, 81. Aufl., § 1353 Rn. 6). Leben die Ehegatten gemeinsam in einer Ehewohnung, so steht Ihnen der Mitbesitz an der Ehewohnung und an den Haushaltsgegenständen unabhängig davon zu, ob sie die Wohnung - wie vorliegend - gemeinsam gemietet haben oder nur ein Ehegatte Partei des Mietvertrages ist. Dieser Anspruch besteht während der intakten Ehe. Das bloße Verlassen der Ehewohnung führt nicht zum Erlöschen des Mitbesitzes, denn eine vorübergehende Abwesenheit berührt diesen nicht (vgl. Götz/Brudermüller/Giers, Die Wohnung in der familienrechtlichen Praxis, 2. Aufl., Rn. 35 ff.). Das Recht auf Mitbesitz entfällt dann, wenn die Ehegatten anlässlich ihrer Trennung eine abweichende Vereinbarung über die künftige Nutzung der Ehewohnung getroffen haben oder ein Ehegatte aus der Ehewohnung mit dem Willen ausgezogen ist, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wiederherstellen zu wollen (BGH NJW 1972, 42). Hält sich die Ehefrau vorübergehend in einem Frauenhaus oder bei ihrer Familie im Ausland auf, gibt sie damit nicht den Mitbesitz an der vom Ehemann allein angemieteten Wohnung auf (vgl. LG Freiburg FamRZ 2005, 1252; OLG Frankfurt NZFam 20...