Leitsatz (amtlich)

1. Die unmittelbare Bestimmung des Anteilswertes allein anhand des Börsenwertes scheidet aus, wenn der Börsenkurs nur eingeschränkt aussagekräftig war.

2. Die Wahl der Bewertungsmethode im gerichtlichen Spruchverfahren obliegt grundsätzlich dem Tatrichter im Rahmen seines Schätzermessens. Weder die Aktionäre noch die Antragsgegnerin haben einen Anspruch auf die Anwendung einer konkreten Bewertungsmethode oder Beibehaltung der durch die Bewerterin/Prüferin bzw. des Gerichts erster Instanz gewählten Methode - hier: der Ertragswertmethode -.

3. Der Umstand, dass Aktien der zu bewertenden Gesellschaft nur im Freiverkehr gehandelt wurden, steht der Heranziehung des Börsenkurses nicht entgegen, wenn die Aktien auf einem besonderen Teilsegment des Freiverkehrs - hier: im Segment "Entry Standard" der Börse Frankfurt - mit einem den gesetzlichen Publizitäts- und Transparenzvorschriften vergleichbaren Informationsregime gehandelt wurden und konkrete Informationsdefizite nicht geltend gemacht sind.

4. Ob der Börsenkurs als Ergebnis einer effektiven Informationsbewertung tatsächlich den Unternehmenswert widerspiegelt, lässt sich nicht allein mit Hilfe der für die Frage der Marktenge entwickelten Kriterien des § 5 Abs. 4 WpÜG-AV beurteilen, vielmehr bedarf es einer ergänzenden Beurteilung der Liquidität. Mit der Liquiditätsanalyse sind insbesondere das Handelsvolumen pro Tag, die Relation aus Tagen mit Handel zu möglichen Handelstagen, der Streubesitz, die Handelsquote sowie die durchschnittliche relative Geld-Brief-Spanne gemessen an Durchschnittswerten der Indizes für den jeweiligen Zeitraum in den Blick zu nehmen.

Steht schon die nur eingeschränkte Liquidität - hier: sowohl im Drei-Monats-Zeitraum vor Bekanntmachung des Erwerbsangebots der Hauptaktionärin mit dem erklärten Ziel, die Kapitalbeteiligung auf 95 % aufzustocken, als auch im Drei-Monats-Zeitraum vor Bekanntgabe des beabsichtigten Squeeze-out - der Annahme einer Aussagekraft des Börsenkurses entgegen, kommt es auf die Analyse weiterer Aspekte der konkreten Informationsverarbeitung nicht an.

6. Für die Bestimmung von künftigen Wechselkursen gibt es derzeit keinen überlegenen theoretischen Ansatz. Annahmen zu erwarteten künftigen Wechselkursen sind für die gerichtliche Schätzung des Unternehmenswertes geeignet, wenn sie aus einer in den Wirtschaftswissenschaften anerkannten und gebräuchlichen Prognosemethode hier - der Kassakursmethode (sog. naive Prognose) - abgeleitet und plausibel sind.

7. Der Ansatz der Marktrisikoprämie mit 5,5 % nach Steuern ist bezogen auf den Bewertungsstichtag 30.06.2016 nicht zu beanstanden.

8. Vorerwerbspreise sind grundsätzlich nur im Rahmen von Plausibilitäts- und Kontrollerwägungen relevant.

 

Normenkette

AktG § 327a Abs. 1, § 327 f.; FamFG § 61 Abs. 2; GG Art. 14 Abs. 1; SpruchG § 17 Abs. 1; WpÜG-AngebotsVO § 5 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Aktenzeichen 33 O 79/16 [AktE])

 

Tenor

Die Beschwerden der Beschwerdeführer zu 28) bis 31) vom 5.08.2020, zu 21) vom 14.08.2020, zu 26) und 27) vom 17.08.2020, zu 12) bis 17), 18), 20) und 22) bis 24) vom 20.08.2020, zu 1) bis 4) vom 25.08.2020, zu 5) bis 11) vom 2.09.2020, zu 19) vom 3.09.2020 und zu 25) vom 16.09.2020 gegen den Beschluss der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 27.05.2020 - 33 O 79/16 (AktE) - in Verbindung mit dem Nichtabhilfebeschluss vom 10.11.2020 werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Vergütung und Auslagen des gemeinsamen Vertreters trägt die Antragsgegnerin.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Geschäftswert wird für die Beschwerdeinstanz auf 200.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Das Spruchverfahren betrifft die in der Hauptversammlung der M. AG ("M.") vom 30.06.2016 beschlossene Übertragung der Aktien von Minderheitsaktionären auf die Hauptaktionärin E. Digital GmbH ("E.") gegen Gewährung einer Barabfindung in Höhe von 6,40 EUR.

Die Antragsteller waren Minderheitsaktionäre der M., die im Jahre 2000 als Tochterunternehmen der börsennotierten P. AG in Koblenz gegründet und am 23.05.2003 ins Handelsregister bei dem Amtsgericht Düsseldorf eingetragen wurde. Mit Wirkung vom 27.12.2016 wurde sie in die E. Digital Germany GmbH umgewandelt.

Satzungsmäßiger Gegenstand des Unternehmens war zum maßgeblichen Stichtag die Entwicklung von Software und Applikationen zur Erstellung sowie dem Betrieb von internet- und telefonbasierten Anwendungen und Diensten, die Entwicklung sowie der Betrieb von Digital Commerce Applikationen, die Herstellung und der Vertrieb von Inhalten sowie deren Verbreitung in jeglicher Form, insbesondere über elektronische und digitale Medien. Die Hauptabsatzmärkte des Konzerns waren im Geschäftsjahr 2015 Deutschland und Japan mit einem Umsatzanteil von rd. 69 % bzw. 10 %.

Der Konzern setzte sich aus drei Geschäftsbereichen (Payment Solutions, Business to Operators & Media (B2O & Media) und Business to Consumers (B2C)) zusammen, weiter untergliedert in sog. Profit Center. An ...

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