Leitsatz (amtlich)

1. Zahlt der Schuldner nach dem Insolvenzantrag anfechtbar Einfuhrumsatzsteuer und nimmt in entsprechender Höhe einen Vorsteuerabzug vor, steht einer mittelbaren Gläubigerbenachteiligung nicht entgegen, dass nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. FG Münster, Urt. v. 07.12.2021 - 15 K 3144/20 U) im Falle der Rückzahlung von geleisteter Einfuhrumsatzsteuer in Erfüllung eines insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs der vom Schuldner vorgenommene Vorsteuerabzug gemäß § 17 Abs. 3 UStG in dem entsprechenden Besteuerungszeitraum zu berichtigen ist, weil maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung derjenige der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz ist.

2. Die Durchsetzung des anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs aus § 143 Abs. 1 InsO wegen gezahlter Einfuhrumsatzsteuer ist selbst dann nicht rechtsmissbräuchlich, wenn mit der finanzgerichtlichen Rechtsprechung davon auszugehen wäre, dass mit der Rückzahlung der Einfuhrumsatzsteuer ein Vorsteuerabzugsberichtigungsanspruch gemäß § 17 Abs. 3 UStG in gleicher Höhe entsteht (gegen OLG München, Beschl. v. 22.12.2021 - 5 U 4451/21 und OLG Hamburg, Urt. v. 26.04.2022 - 11 U 67/21). Denn der Rückgewähreinwand ("Dolo-agit-Einrede") setzt voraus, dass die im Fall der Durchsetzung der Forderung entstehende Gegenforderung denselben Leistungsgegenstand betrifft. Das ist nur hinsichtlich der mit der Erfüllung des insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs gemäß § 144 Abs. 1 InsO rückwirkend wieder auflebenden Einfuhrumsatzsteuerschuld der Fall, nicht auch hinsichtlich der unter Berücksichtigung der Vorsteuerabzugsberichtigung berechneten Steuer im Besteuerungszeitraum.

3. Die Privilegierung aus § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG schützt lediglich sog. "Vertragsgläubiger". Die Befriedigung oder Sicherung nicht vertraglich begründeter Verbindlichkeiten ist von vornherein einer Privilegierung nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG nicht zugänglich.

 

Normenkette

BGB § 242; COVInsAG § 2 Abs. 1 Nr. 4; InsO § 129 Abs. 1, § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 143 Abs. 1; UStG § 17 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Aktenzeichen 13 O 317/20)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 22.12.2021 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf (13 O 317/20) teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Schuldnerin, die E. GmbH, ..., 12.829.683,11 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.07.2020 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt als früherer Sachwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der E. GmbH (Schuldnerin) die beklagte Bundesrepublik Deutschland unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung auf Rückzahlung von Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch, die die Schuldnerin nach dem Insolvenzantrag an das Hauptzollamt D. gezahlt hat. Die Parteien streiten u.a. darüber, ob der Vorsteuerabzug, den die Schuldnerin in voller Höhe der gezahlten Einfuhrumsatzsteuer vorgenommen hat, nach Erfüllung des Rückgewähranspruchs zu berichtigen ist und ob daraus ein Leistungsverweigerungsrecht ("dolo-agit-Einrede") der Beklagten resultiert.

Die Schuldnerin beantragte bei dem Amtsgericht D. am 27.03.2020 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Durchführung eines Schutzschirmverfahrens; dieses bestellte den Kläger mit Beschluss vom selben Tag zum vorläufigen Sachwalter. Mit Schreiben vom 09.04.2020 informierte die Schuldnerin das Hauptzollamt D. über den Eröffnungsantrag. Eine zunächst getroffene Anordnung, wonach Zahlungen von Umsatzsteuer nur mit vorheriger Zustimmung des vorläufigen Sachwalters vorgenommen werden dürfen, wurde durch Beschluss des Insolvenzgerichts vom 15.04.2020 aufgehoben. Zwischen dem 15.04.2020 und dem 15.06.2020 leistete die Schuldnerin sodann für die Überführung von Waren in den europäischen Binnenmarkt an das Hauptzollamt D. Zahlungen in Höhe von 14.931.917,61 EUR (Aufstellung S. 4 d. Klageschrift); davon entfielen 12.829.683,11 EUR (Zahlungen am 12.06. und 15.06.2020) auf die von der Beklagten erhobene Einfuhrumsatzsteuer. Die Schuldnerin hat in Höhe der gezahlten Einfuhrumsatzsteuer einen Vorsteuerabzug hinsichtlich der von ihr weiterveräußerten Waren vorgenommen.

Mit Beschluss vom 01.07.2020 eröffnete das Amtsgericht D. das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und ordnete Eigenverwaltung an; den Kläger bestellte es zum Sachwalter. Mit Schreiben vom 08.07.2020 erklärte der Kläger unter Verweis auf § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO die Anfechtung aller im Zeitrau...

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