Leitsatz (amtlich)
Die Sittenwidrigkeit eines Erbverzichts und damit dessen Unwirksamkeit kann sich aus der gebotenen Gesamtwürdigung mit der dem Verzicht zugrunde liegenden schuldrechtlichen Vereinbarung ergeben. Das ist insbesondere der Fall, wenn die getroffenen Vereinbarungen ein erhebliches Ungleichgewicht zu Lasten des Verzichtenden ausweisen.
Normenkette
BGB §§ 2346, 128 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Detmold (Urteil vom 07.04.2015; Aktenzeichen 1 O 224/14) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 07.04.2015 verkündete Urteil des LG Detmold wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung aus diesem Urteil durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
A. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Erb- und Pflichtteilsverzichts, den der Kläger mit notarieller Urkunde vom 29.10.2013 gegenüber dem Beklagten erklärt hat.
Der am ... 1995 geborene Kläger ist ein Sohn des Beklagten aus dessen Ehe mit der Mutter des Klägers, die nur von kurzer Dauer war und bereits 1997 geschieden wurde. Der Kläger ist bei seiner Mutter im Rheinland aufgewachsen. Der Beklagte lebt mit seiner langjährigen Lebensgefährtin und einer aus dieser Beziehung stammenden Tochter in E. Er ist selbständig praktizierender Zahnarzt und Gesellschafter der Q-E-GmbH, die in E ein Dentallabor betreibt. Anfang 2013 bot er dem Kläger, der zu diesem Zeitpunkt die 11. Klasse eines Gymnasiums besuchte und mit erheblichen Schulschwierigkeiten zu kämpfen hatte, an, bei der Q-E-GmbH eine Ausbildung zum Zahntechniker zu machen. Im Januar 2013 absolvierte der Kläger ein Praktikum bei der Q-E-GmbH. Während dieser Zeit lebte er im Haushalt des Beklagten. Im Sommer 2013 verließ er die Schule, ohne das angestrebte Fachabitur erreicht zu haben. Er zog zu dem Beklagten nach E und begann bei der Q-E-GmbH eine Ausbildung zum Zahntechniker. Etwa zur gleichen Zeit erwarb der Beklagte von einem Bekannten - zunächst leihweise - einen Sportwagen, für den sich der Kläger besonders begeistert hatte. Hierbei handelte es sich um einen O GTR X mit einem Anschaffungspreis von ca. 100.000,- EUR, der eine Höchstgeschwindigkeit von ca. 320 km/h erreichen und in 2,8 Sek. von 0 auf 100 km/h beschleunigen kann. Der Beklagte ließ den Kläger mehrfach in diesem Fahrzeug mitfahren und dieses auch einige Male selbst lenken, was den Kläger außerordentlich faszinierte.
Am 29.10.2013, zwei Tage nach dem 18. Geburtstag des Klägers, fuhr der Beklagte mit dem Kläger zum Amtssitz des Notars E2 in Q. Dort ließen die Parteien einen im Auftrag des Beklagten vorbereiten "Erb-, Pflichtteils und Pflichteilsergänzungsanspruchsverzicht" (UR Nr. 161/2013) beurkunden, in dem es auszugsweise heißt:
Der Erschienene zu 2. (= Kläger) verzichtet hiermit für sich auf das ihm beim Tode des Erschienenen zu 1. (= Beklagter) zustehende gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht. Dieser Verzicht betrifft insbesondere Erb-, Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche.
Der Erschienene zu 1. nimmt diese Verzichte jeweils an.
Als Gegenleistung für die Verzichte erhält der Erschienene zu 2. den Pkw O GT-R 35 Coupé..., jedoch unter der aufschiebenden Bedingung, dass
a) der Erschienene zu 2. sein 25. Lebensjahr vollendet hat und
b) der Erschienene zu 2. seine Gesellenprüfung zum Zahntechniker bis zum 31.12.2017 mit der Note 1 bestanden hat und
c) der Erschienene zu 2. seine Meisterprüfung zum Zahntechniker bis zum 31.12.2021 mit der Note 1 bestanden hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kopie der Urkunde, Bl. 8 f. der Gerichtsakte, Bezug genommen.
Schon am Nachmittag nach der Beurkundung, nachdem er mit seiner Mutter telefoniert und mit ihr über den Vorgang gesprochen hatte, reute den Kläger der Vertragsschluss. Er teilte dem Notar telefonisch mit, dass er die Vereinbarung rückgängig machen wolle. Mit Anwaltsschriftsatz vom 28.07.2014 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er die Vereinbarung für sittenwidrig und damit nichtig halte. Vorsorglich erklärte er zudem die Anfechtung des Vertrages und forderte den Beklagten vergeblich auf, die Nichtigkeit des Vertrages anzuerkennen. Inzwischen hat der Kläger die Ausbildung in dem Unternehmen des Beklagten abgebrochen und ist zu seiner Mutter zurückgezogen, um dort seine Schulausbildung fortzusetzen.
Mit der Klage hat der Kläger die Feststellung der Nichtigkeit des notariellen Vertrages vom 29.10.2013 begehrt. Er hat behauptet, der Beklagte habe ihn mit dem Vertrag überrumpelt. Er habe ihm am Tag der Beurkundung lediglich erklärt, es gebe eine Überraschung und er müsse mit ihm nach Q fahren. Bei dem Notar habe er dann den Vertrag unterschreiben sollen, von dem er - was insoweit unstreitig ist - zuvor keinen Entwurf erhalten habe. Den Inhal...