Leitsatz (amtlich)
1. Die inländische Strafverfolgungsverjährung wird weder durch den Erlass eines - vorläufigen - Auslieferungshaftbefehls noch durch die richterliche Vernehmung des Verfolgten im Rahmen des Auslieferungsverfahrens unterbrochen.
2. Die Geschäftsgrundlage eines völkerrechtlichen Vertrages, welcher mit dem ersuchenden Staat aufgrund der Bewilligung der Auslieferung geschlossen wird, entfällt, wenn die Auslieferung aufgrund von neu eingetretenen oder bekannt gewordenen Umständen nicht mehr im Einklang mit zwischenstaatlichen Auslieferungsübereinkommen oder mit innerstaatlichen Auslieferungsbestimmungen steht (hier: nachmaliger Eintritt der inländischen Strafverfolgungsverjährung bei einem deutschen Staatsangehörigen).
Tenor
- Der Beschluss des Senats vom 10. November 2011, mit welchem die Auslieferung des Verfolgten nach Polen zur Strafverfolgung aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts in B. vom 11. Oktober 2010 für zulässig erklärt wurde, wird aufgehoben.
- Die Auslieferung des Verfolgten nach Polen zur Strafverfolgung aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts in B. vom 11. Oktober 2010 wird nach erneut erfolgter Sachprüfung für unzulässig erklärt.
- Die Staatskasse trägt die Kosten des Auslieferungsverfahrens und die dem Verfolgten in diesem Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen (§ 77 IRG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO).
- Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 23.02.2011 wird aufgehoben.
- Eine Entschädigung für erlittene Auslieferungshaft wird nicht bewilligt.
Gründe
I.
Der Senat hat mit Beschluss vom 10.11.2011 die Auslieferung des Verfolgten - eines deutschen und polnischen Staatsangehörigen - nach Polen zur Strafverfolgung aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts in B. vom 11.10.2010 für zulässig erklärt und festgestellt, dass die Entschließungen der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 03.03.2011 und 04.03.2011, kein Bewilligungshindernis geltend machen zu wollen, rechtsfehlerfrei getroffen sind. Außerdem hat er in Ergänzung des Senatsbeschlusses vom 04.03.2011, mit welchem der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 23.02.2011 gegen Auflagen und Weisungen außer Vollzug gesetzt wurde und welcher im Übrigen aufrecht erhalten blieb, auferlegt, sich binnen einer Frist von 90 Tagen nach Ergehen einer Bewilligungsentscheidung durch die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe im Einvernehmen mit dieser Behörde den polnischen Justizbehörden freiwillig zu stellen und aus der Bundesrepublik Deutschland nach Polen auszureisen.
Grundlage dieser Entscheidung war ein Europäischer Haftbefehl des Bezirksgerichts in B. vom 11.10.2010, aus welchem sich ergibt, dass gegen den Verfolgten ein nationaler Haftbefehl des Amtsgerichts B. vom 05.03.2009 besteht, in welchem ihm unter dem mit einer Höchststrafe von jeweils acht Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Vorwurf von Vergehen nach Art. 286 § 1 und Art. 270 § 1 i.V.m. Art. 11 § 2 des polnischen Strafgesetzbuches die Begehung folgender Straftaten zur Last gelegt wird:
Wird ausgeführt
Am 16.11.2011 hat die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe die Auslieferung des Verfolgten bewilligt. Mit Beschluss vom 24.02.2012 hat der Senat den am 04.03.2011 außer Vollzug gesetzten Auslieferungshaftbefehl vom 23.02.2011 wieder in Vollzug gesetzt und die Festnahme des Verfolgten angeordnet. Dieser wurde am 19.04.2012 aufgrund eines Untersuchungshaftbefehls des Amtsgerichts Z. vom 12.04.2012 festgenommen, worauf hin die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe den Vollzug der bewilligten Auslieferung am 10.01.2013 aufschob, bis deutschen Strafansprüchen Genüge getan sei. Am 19.07.2012 - rechtskräftig seit 19.12.2012 - wurde der Verfolgte durch das Landgericht Z. wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Diese Freiheitsstrafe wird seit dem 20.12.2012 vollstreckt. Bezüglich des wieder in Vollzuggesetzten Auslieferungshaftbefehls vom 23.02.2011 ist Überhaft vermerkt.
Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe 11.09.2014 mitgeteilt hat, dass die bewilligte Auslieferung "ab dem 17.10.2014" vollzogen werden solle, hat der Senat mit Beschluss vom 16.09.2014 den Vollzug der Auslieferung nach Polen aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts B. vom 11.10.2010 aufgeschoben (§ 33 Abs. 4 IRG) und der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe sowie dem Rechtsbeistand des Verfolgten Gelegenheit zur Stellungnahme zu der nach Sachlage zu treffenden Nachtragsentscheidung nach § 33 IRG gegeben. Hierzu haben sich beide geäußert.
II.
Der Senat ist von Amts wegen nach § 33 Abs. 1 IRG in eine erneute Sachprüfung eingetreten. Diese hat ergeben, dass die Auslieferung aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts B. vom 11.10.2010 nicht mehr zulässig ist, denn nach der Zulässigkeitsentscheidung vom 10.11.2011 sind Umstände eingetreten, welche eine andere Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zu begründen geeignet sind (OLG Köln OLGSt IRG § 80 Nr.1; Grützner/Pötz/Kreß, Internat...