Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuergeheimnis: Offenbarungspflichten von Betriebsprüfern und Steuerfahndern bei Wirtschaftsvergehen. Amtspflichtverletzung. FlowTex
Leitsatz (amtlich)
§ 92 S. 1 InsO ist keine haftungs- und anspruchsbegründende Norm. Vielmehr setzt die Regelung in § 92 InsO voraus, dass die Insolvenzgläubiger aus anderen Rechtsgründen Schadensersatzansprüche haben, die mindestens auch zu einer Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens geführt haben und insoweit gemeinschaftlich erlittene Schäden erfassen. Ob solche Schadensersatzansprüche gegeben sind, ist mithin eine Vorfrage zu § 92 S. 1 InsO.
Leitsatz (redaktionell)
1. Betriebsprüfungsberichte haben gem. § 202 Abs. 1 S. 2 AO nur steuerlich relevante Feststellungen zu treffen und dienen nicht dazu, Abschlussprüfern oder Geschäftspartnern des Steuerschuldners einen Überblick über die wirtschaftliche Situation der geprüften Gesellschaft zu geben.
2. Erkennt ein Betriebsprüfer, dass es sich bei einem Geldflusssystem um eine reine Finanzierungsmethode handelt und mit sogenannten Luftgeschäften Betrugstaten zum Nachteil von Leasinggesellschaften und finanzierenden Banken in Millionenhöhe in der Vergangenheit begangen wurden und dieses System mit neuen Geschädigten oder weiteren Schädigungen Dritter fortgesetzt werden würde, hat er unabhängig von § 30 Abs. 4 Nr. 5b AO die Pflicht, dieses fortdauernde Betrugssystem aufzudecken. Die Unterlassung einer solchen Mitteilung wäre wegen der Schwere und Folgenwirkungen des Betrugssystems als Amtsmissbrauch zu werten.
3. § 30 Abs. 4 Nr. 5b AO normiert einen Ausnahmetatbestand, der in ganz besonderen Fällen das Steuergeheimnis und damit das insoweit bestehende Offenbarungsverbot der Finanzbeamten durchbricht. Die Vorschrift begründet bei Vorliegen der Voraussetzungen jedenfalls einen Rechtfertigungsgrund im Hinblick auf § 355 StGB. Ob eine Offenbarungspflicht gemäß § 13 StGB anzunehmen ist, oder ob von der gegenteiligen Meinung auszugehen ist, § 30 Abs. 4 Nr. 5b AO eröffne nach seinem Wortlaut lediglich eine Offenbarungsbefugnis und keine Offenbarungspflicht, bedarf im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung.
4. Nach § 30 Abs. 4 Nr. 5b AO dürfen Erkenntnisse für Wirtschaftsstraftaten angezeigt werden, die nach ihrer Begehungsweise oder wegen des Umfanges des durch sie verursachten Schadens geeignet sind, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören oder das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs erheblich zu erschüttern.
5. § 30 Abs. 4 Nr. 5b AO stellt ausdrücklich seinem Wortlaut nach auf den Schutz der Wirtschaftsordnung und das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Redlichkeit des Gesetzverkehrs ab, also auf solche Rechtsgüter, die im öffentlichen Interesse liegen. Es fehlt somit an einer spezifischen Drittbezogenheit etwaiger, verletzter Amtspflichten nach § 30 Abs. 4 Nr. 5b AO.
Normenkette
BGB § 839; InsO § 92; StGB §§ 13, 27, 355; AO §§ 30, 202
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 26.07.2005; Aktenzeichen 2 O 60/03) |
Tenor
I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 26.07.2005 – 2 O 60/03 – wird zurückgewiesen.
II. Soweit nicht bereits durch Zwischenurteil vom 11.01.2007 (Zeuge Bu), Zwischenurteil vom 06.02.2007 (Zeuge Ku) und Beschluss vom 11.01.2007 (Zeuge Kleiser) über die Kosten entschieden wurde, tragen von den Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten des beklagten Landes und des Streithelfers Dr. Kurt Ro im Berufungsverfahren
der Kläger zu 1 |
1,7 % |
der Kläger zu 2 |
1,5 % |
der Kläger zu 3 |
1,2 % und |
die Klägerin zu 4 |
95,6 % |
Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen die Kläger jeweils selbst.
Der Streithelfer Do trägt seine außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren selbst und die Kosten des Zwischenstreits über seinen Beitritt als Nebenintervenient.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Inhaltsangabe
Gründe I.
Unstreitiger Sachverhalt
Das Handeln der Finanzbehörden
Vorgeschichte:
- Der angebliche Raubüberfall
- Frühere Scheingeschäfte
- Die „Sß-Gelder
- Betriebsprüfung 1990/1991 bis 1993
- Selbstanzeige vom 05.02.1996
- Anonyme Anzeige vom 25.04.1996
- Anonyme Anzeige vom 04.05.1996
- Vorermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Karlsruhe
- Die Systemüberprüfung
- „Ks-Vermerke”
- Der „Gewinnmarge-Vermerk”
- Der „Kegel-Vermerk”
- Das WP-Testatverfahren
- Die IZA-Auskunft
- Der „Gewinnverprobungs-Vermerk”
- Gang des Steuerstrafverfahrens
- Betriebsprüfungsbericht KSK vom 10.07.1997
- Betriebsprüfungsbericht FTI vom 29.12.1997
- Betriebsprüfungsbericht F. AG
- Betriebsprüfung bei PowerDrill und Steuerstrafverfahren gegen Matthias Schmider
- Grafik „System 245”
- Folge-Betriebsprüfung ab 1999 und Ermittlungsverfahren
Entscheidungsgründe des Urtei...