Leitsatz (amtlich)
1. Die materiell-rechtliche Befugnis, Schadensersatzansprüche gegen aktuelle oder ehemalige Geschäftsführer geltend zu machen, steht in einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach § 46 Nr. 8 GmbHG nur den Gesellschaftern zu und ist nicht davon abhängig, ob ein Aufsichtsrat gebildet wurde.
2. Der Gesellschaft obliegt im Rechtsstreit um Schadensersatzansprüche gegen ihren (ehemaligen) Geschäftsführer gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG die Darlegungs- und Beweislast nur dafür, dass und inwieweit ihr durch ein Verhalten des Geschäftsführers in dessen Pflichtenkreis ein Schaden erwachsen ist. Hingegen hat der Geschäftsführer darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass er seinen Sorgfaltspflichten gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG nachgekommen ist.
3. a) Die Gesellschaft genügt ihrer Darlegungslast im Hinblick auf einen Vermögensschaden durch die Auszahlung zusätzlicher Arbeitnehmervergütungen für Bereitschaftsdienste schon dann nicht, wenn die Bereitschaftszeiten der Mitarbeiter jeweils vollständig außerhalb und zusätzlich zu der regulären Arbeitszeit anfielen und ein im einschlägigen Manteltarifvertrag alternativ zu einer Vergütung vorgesehener Freizeitausgleich im betreffenden Wirtschaftsjahr nicht umsetzbar war.
b) Die Auszahlung zusätzlicher Arbeitnehmervergütungen für Bereitschaftsdienste ist sachlich gerechtfertigt, wenn sie auf einer (mündlich getroffenen) Regelungsabrede zwischen dem alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer und dem Vorsitzenden des Betriebsrates beruht. Eine (formbedürftige) Betriebsvereinbarung ist für die Regelung einer vermögensrechtlichen Angelegenheit nicht erforderlich.
Verfahrensgang
LG Stendal (Urteil vom 11.03.2020; Aktenzeichen 23 O 201/19) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 11. März 2020 verkündete Urteil des Einzelrichters der Zivilkammer 3 des Landgerichts Stendal wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil des Senats und das o.a. Urteil des Landgerichts sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
und beschlossen:
Der Kostenwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.862,28 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Schadensersatz wegen angeblicher Verletzung seiner Pflichten als Geschäftsführer der Klägerin im Jahr 2016.
Die Klägerin ist eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft. Der Beklagte war seit 1992 deren alleiniger Geschäftsführer. Im Juli 2016 wurde im Zusammenhang mit der beabsichtigten Übernahme der Geschäftsführung der Klägerin durch eine der damaligen Mitgesellschafterinnen und jetzigen Alleingesellschafterin im Jahre 2017 ein weiterer einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer bestellt. Wegen der internen Aufgabenteilung wird auf die Festlegung der vorläufigen Geschäftsordnung der Gesellschafterversammlung vom 01.08.2016 (Anlage K 4, GA Bl. 77 f.) Bezug genommen.
Die Klägerin war bis zum Jahresende 2016 Mitglied im Arbeitgeberverband der Deutschen Immobilienwirtschaft e.V. (AGV) und als solche tarifgebunden.
Im November und Dezember 2016 veranlasste der Beklagte ohne vorherige Absprache mit dem weiteren Geschäftsführer die Auszahlung einer Vergütung für Bereitschaftsdienste im gesamten Kalenderjahr 2016 jeweils in Höhe von pauschal 200,00 EUR je Kalenderwoche für drei Mitarbeiter der Klägerin in Abhängigkeit vom Bereitschaftsplan, und zwar insgesamt 7.894,00 EUR für Herrn H., insgesamt 2.300,00 EUR für Frau W. und insgesamt 400,00 EUR für Frau Ha..
Am 03.01.2017 unterzeichnete der Beklagte für die Klägerin eine auf den 04.01.2016 rückdatierte Betriebsvereinbarung über die Vergütung von Bereitschaftsdiensten im Kalenderjahr 2016; für den Betriebsrat unterzeichnete der Mitarbeiter H., der jedenfalls im Januar 2016 Betriebsratsvorsitzender war.
Am 14.03.2017 wurde im Handelsregister für die Klägerin eingetragen, dass der Beklagte als Geschäftsführer ausgeschieden sei.
Der Aufsichtsrat der Klägerin beschloss in seiner Sitzung vom 10.01.2019, die Summe der Auszahlungen für Bereitschaftsdienste im Kalenderjahr 2016 gegen den Beklagten geltend zu machen (TOP 4). Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung der Klägerin vom 13.07.2020 wurde deren Aufsichtsrat beauftragt, den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, weil es für Zahlungen für den Bereitschaftsdienst weder eine (wirksame) Betriebsvereinbarung noch eine Abstimmung mit weiteren Entscheidungsgremien der Klägerin gegeben habe.
Die Klägerin forderte den Beklagten mit ihrem Schreiben vom 26.02.2019 zur Zahlung des Betrages der jetzigen Klageforderung bis zum 28.03.2019 auf.
In dem durch ein Mahnverfahren eingeleiteten Rechtsstreit hat die Klägerin eine Forderung i.H.v. 12.862,28 EUR nebst Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe seit dem 29.03.2019 geltend gemacht. Davon entfielen 9.232,55 EUR auf Netto-Vergütungen für Bereitschaftsdienste und 3.629,73 EUR auf diesbezüglich angefallene Sozialversicherungsbeiträge.
Sie hat behauptet, dass der Beklagte ihr ...