Leitsatz (amtlich)
1. Ein Anspruch aus §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsO gegen den Gesellschafter, der für eine Gesellschaftsschuld eine Sicherheit bestellt hat, besteht nur insoweit, als die Bürgschaftsverpflichtung des Gesellschafters sich durch die Rückzahlung der Gesellschaftsschuld reduziert hat. Im Falle einer Höchstbetragsbürgschaft und einer nur teilweisen Tilung der Gesellschaftsschuld besteht ein Anspruch deshalb in Höhe der Differenz zwischen der ursprünglichen Höhe der Bürgschaft und der nach der teilweisen Tilgung verbliebenen Gesellschafts- und damit Bürgschaftsverpflichtung.
2. Ein Anspruch aus §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsO gegen den Gesellschafter besteht auch dann, wenn der Gläubiger in Absprache mit dem Gesellschafter vor Rückführung der Gesellschaftsschuld durch die Insolvenzschuldnerin innerhalb eines Jahres vor dem Insolvenzeröffnungsantrag oder nach diesem Antrag auf die weitere Inanspruchnahme des Gesellschafters aus der Gesellschaftersicherheit verzichtet. Dieser Erlassvertrag hat nur im Verhältnis zwischen Gläubiger und Gesellschafter Wirkung und lässt den Anspruch der Insolvenzschuldnerin gegen den Gesellschafter aus §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsO unberührt.
Normenkette
InsO § 135 Abs. 2, § 143 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 05.08.2011; Aktenzeichen 16 O 118/11) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Stuttgart vom 5.8.2011 - 16 O 118/11, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 129.055,42 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1.4.2011 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen der Kläger 7 %, der Beklagte 93 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Berufungsstreitwert: 138.025,59 EUR
Gründe
I. Der Kläger verlangt von dem Beklagten die Zahlung von 138.025,59 EUR aus § 143 Abs. 3 InsO.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter der X GmbH (i. F: Insolvenzschuldnerin), über deren Vermögen am 1.1.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Beklagte war deren Geschäftsführer und Gesellschafter mit einem Anteil von 20 % am Stammkapital der Gesellschaft.
Zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung stand der VR Bank ... (VR Bank) eine durch Globalzession und Sicherungsübereignung gesicherte Forderung i.H.v. 258.970,17 EUR zu. Der Beklagte hatte sich am 13.6.2007 für die Verbindlichkeiten gegenüber der VR Bank i.H.v. 250.000 EUR verbürgt (K 2, Bl. 8).
Nach der Insolvenzeröffnung verwertete der Kläger das an die VR Bank sicherungsübereignete und sicherungszedierte Gesellschaftsvermögen und erzielte dabei netto 138.025,59 EUR. Nach dem streitigen Klägervortrag wurde dieser Betrag an die VR Bank ausbezahlt. Der Kläger verlangt diesen Betrag von dem Beklagten aus §§ 143 Abs. 3, 135 Abs. 2 InsO analog zurück.
Die VR Bank bot dem Beklagten mit Schreiben vom 28.8.2009 (B 1, Bl. 31) an, bei Zahlung von 30.000 EUR bis zum 30.9.2009 auf die weitere Geltendmachung von Forderungen gegenüber dem Beklagten aus der Bürgschaft zu verzichten. Der Beklagte bezahlte diesen Betrag am 28.10.2009, was die VR-Bank ihm durch Schreiben vom 23.11.2009 bestätigte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands erster Instanz wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.
Das LG hat die Klage abgewiesen.
Ein Anspruch gegen den Beklagte bestehe unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt. Insbesondere könne die Verwertung der Sicherheiten und die nachfolgende Erlösauskehr durch den Kläger von diesem nicht angefochten werden. Die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nach §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 Satz 1 InsO lägen nicht vor. Als anfechtbare Rechtshandlungen i.S.v. § 129 Abs. 1 InsO kämen nur Rechtshandlungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Betracht. Eine Insolvenzanfechtung setze darüber hinaus eine Gläubigerbenachteiligung voraus. Diese liege nicht vor, wenn der Insolvenzverwalter einen Gegenstand verwerte, aus dem abgesonderte Befriedigung verlangt werden könne.
Das LG lehnt eine analoge Anwendung des § 135 Abs. 2 InsO für den Fall doppelbesicherter Darlehen und Verwertung von Gesellschaftsvermögen durch den Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung ab. Im Hinblick auf die hier fehlende Gläubigerbenachteiligung lasse sich keine Analogie bilden. Die Gläubigerbenachteiligung sei Strukturmerkmal des Anfechtungsrechts. Der Zweck dieses Merkmals, die Insolvenzmasse zu schützen, sei hier nicht berührt, da die Insolvenzmasse durch die Verwertung von bereits mit Aussonderungsrechten belasteten Gegenständen nicht beeinträchtigt sei. Eine analoge Anwendung hätte im...