Dipl.-Finw. (FH) Helmut Lehr
Leitsatz
Die Eingliederung einer Personengesellschaft in das Unternehmen des Organträgers setzt nicht voraus, dass Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind.
Sachverhalt
Der Kläger ist der Insolvenzverwalter der A Maschinenbau GmbH & Co. KG (KG). Gesellschafter der KG waren im Streitjahr 2010 die A Maschinenbau Verwaltungs-GmbH als Komplementärin ohne eigenen Kapitalanteil (Komplementär-GmbH) sowie die beiden Kommanditisten VA mit einem Kapitalanteil von 80 % und dessen Sohn SA von 20 %. Mit Beschluss zum 31.12.2011 wurde über das Vermögen der KG das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Über das Vermögen des VA wurde am 16.11.2015 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die in Liquidation befindliche KG gab am 29.12.2015 eine korrigierte Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2010 ab, in der sie keine Umsätze mehr erklärte. Mit Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH, Urteil v. 16.7.2015, C-108/14 berief sich der Kläger auf das Bestehen einer Organschaft zwischen VA als Organträger und der KG als Organgesellschaft. Das Finanzamt lehnte dies im Ergebnis ab, da neben dem vermeintlichen Organträger VA auch sein Sohn SA an der KG beteiligt sei und diese deshalb nicht Organgesellschaft sein könne. Der Annahme einer Organschaft stünde auch der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Der Kläger habe sich nämlich erst mit Schriftsatz vom 29.12.2015 auf eine Organschaft berufen und dem Finanzamt damit die Möglichkeit genommen, vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist zum 31.12.2015 VA zum Verfahren hinzuzuziehen. Die Steuerforderung könne beim vermeintlichen Organträger nicht mehr realisiert werden.
Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Der Annahme einer Organschaft steht nicht bereits entgegen, dass die KG keine juristische Person im Sinne des nationalen Zivilrechts ist. Nach insoweit übereinstimmender Auffassung der beiden Umsatzsteuersenate des BFH kann jedenfalls eine GmbH & Co. KG – wie vorliegend – unter das Tatbestandsmerkmal "juristische Person" im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG subsumiert werden. Die hier insbesondere streitige finanzielle Eingliederung setzt (lediglich) voraus, dass der Organträger seinen Willen durch Mehrheitsbeschlüsse in der Organgesellschaft durchsetzen kann. Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen Personengesellschaften nur dann von der Organschaft ausgeschlossen werden, wenn dies zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung erforderlich und geeignet ist (EuGH, Urteil v. 16.7.2015, C-108/14). Insoweit bestehen weder im Allgemeinen noch im Streitfall Anhaltspunkte.
Der einschränkenden Rechtauffassung des V. Senats (vgl. BFH, Urteil v. 2.12.2015, V R 25/13), der sich auch die Finanzverwaltung angeschlossen hat, folgt das Gericht nicht. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben (Verwirkung) kann dem Kläger auch nicht entgegengehalten werden. Insbesondere kann dem Kläger nicht vorgeworfen werden, er habe die Geltendmachung der Organschaft bewusst hinausgezögert.
Hinweis
Die unterschiedlichen Rechtsauffassungen der beiden Umsatzsteuersenate zu den Voraussetzungen einer umsatzsteuerlichen Organschaft, insbesondere zu der Möglichkeit der Eingliederung einer Personengesellschaft, sind hinlänglich bekannt. Das Revisionsverfahren gegen das FG-Urteil ist anhängig, Az beim BFH V R 45/19, obwohl das Finanzgericht im Rahmen seiner Ausführungen zur Revisionszulassung (wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache) auf die Zuständigkeit des XI. Senats laut Geschäftsverteilungsplan des BFH hingewiesen hat. Unabhängig davon ist zu erwarten, dass dieses Verfahren bis auf Weiteres ausgesetzt wird. Schließlich haben sowohl der V. Senat als auch der XI. Senat dem EuGH grundlegende Rechtsfragen zur umsatzsteuerlichen Organschaft in Zusammenhang mit Personengesellschaften vorgelegt (vgl. BFH, Beschluss v. 11.12.2019, XI R 16/18 und BFH, Beschluss v. 7.5.2020, V R 40/19). Außerdem hat das FG Berlin-Brandenburg ein Ersuchen um Vorabentscheidung an den EuGH gerichtet (FG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 21.11.2019, 5 K 5044/19).
In der Literatur wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die Entscheidungen des EuGH dazu führen könnten, dass das gesamte deutsche Organschaftssystem verworfen wird. Nicht zuletzt deshalb muss sehr genau geprüft werden, ob Umsatzsteuerbescheide gegen Organträger bzw. noch nicht in eine Organschaft einbezogene Personengesellschaften, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine Organgesellschaft sein könnten, rein vorsorglich offengehalten werden.
Link zur Entscheidung
FG Baden-Württemberg, Urteil v. 07.11.2019, 1 K 1952/18