Leitsatz
Eine aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses bestehende gesetzliche Unterhaltspflicht schließt die Gewährung des Pflegefreibetrags nicht aus.
Normenkette
§ 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG, § 1589 Satz 1, §§ 1601 ff., § 1612 Abs. 1 Satz 1, § 1618a BGB, § 14 Abs. 1, Abs. 4, § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F.
Sachverhalt
Die Erblasserin, Mutter M, war im Jahr 2001 pflegebedürftig geworden. Die Klägerin, deren Tochter, hatte M für ca. 11 Jahre bis zu deren Tod in ihr Haus aufgenommen und auf eigene Kosten die Pflege übernommen. Die Pflegekasse der M hatte Pflegegeld nach der Pflegestufe III gewährt. Das FA war nicht bereit, der Klägerin für den Erwerb von Todes wegen einen Freibetrag wegen Gewährung von Pflege zuzusprechen. Die Vorinstanz (Niedersächsisches FG, Urteil vom 21.3.2015, 3 K 35/15, Haufe-Index 8633260) hat der Klage stattgegeben.
Entscheidung
Die Revision des FA hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des BFH ist der Erwerb der Klägerin wegen der von ihr gegenüber M erbrachten Pflegeleistungen i.H.v. 20.000 EUR nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG steuerfrei. Der Begriff "Pflege gewähren" ist danach grundsätzlich weit auszulegen. Die Feststellungslast für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen trägt freilich der Erwerber.
Erforderlich ist die regelmäßige und dauerhafte Fürsorge für das körperliche, geistige oder seelische Wohlbefinden einer hilfsbedürftigen Person. Dass der Erblasser pflegebedürftig i.S.d. § 14 Abs. 1 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI a.F.) und einer Pflegestufe nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. zugeordnet war, ist nicht notwendig. Zu den Pflegeleistungen gehören die Unterstützung und Hilfe bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen. Eine Steuerbefreiung kommt in Betracht, wenn die Pflege unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt geleistet worden ist. Der Abzug eines Pflegefreibetrags ist nur möglich, soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt für die gewährte Pflege anzusehen ist.
Das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht schadet entgegen der Verwaltungsauffassung der Gewährung des Freibetrags nicht. Dafür bietet schon der Wortlaut der Vorschrift keine Grundlage. Zudem folgt weder aus der Verpflichtung zur Leistung von Unterhalt gegenüber Verwandten in gerader Linie (§§ 1601 ff., § 1589 Satz 1 BGB) noch aus der Verpflichtung zu Beistand und Rücksicht zwischen Kindern und deren Eltern (§ 1618a BGB) eine generelle gesetzliche Verpflichtung zur persönlichen Pflege.
Diese weite Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG entspricht dem Sinn und Zweck der Norm, die ein freiwilliges Opfer der pflegenden Person honorieren bzw. Pflegeleistungen außerhalb vertraglicher oder gesetzlicher Bestimmungen begünstigen soll. Die Höhe des anzusetzenden Freibetrags bestimmt sich nach den gesamten Umständen des konkreten Einzelfalls
Hinweis
Nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG ist ein steuerpflichtiger Erwerb bis zu 20.000 EUR, der Personen anfällt, die dem Erblasser unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt Pflege gewährt haben, steuerfrei, soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt anzusehen ist. Das hierzu ergangene Urteil des BFH hat hohen Praxiswert, weil der Senat die Tatbestandsvoraussetzungen zugunsten der Stpfl. weit auslegt.
- Gesetzliche Unterhaltsansprüche schließen danach die Gewährung des Freibetrags nicht aus. Zwar kommt nach Verwaltungsauffassung (R E 13.5 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2011) der Freibetrag nicht bei Erwerbern in Betracht, die gesetzlich zum Unterhalt (z.B. Ehegatten nach § 1360 BGB oder Verwandte in gerader Linie nach § 1601 BGB) verpflichtet sind. Der BFH tritt dieser bloß norminterpretierenden Vorschrift entgegen. Schon der Begriff "Unterhalt" umfasst nicht notwendigerweise die persönliche Pflege.
- Zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmales der "Pflege" ist es nicht erforderlich, dass der Zuwendende i.S.d. Gesetzes pflegebedürftig oder ihm eine Pflegestufe zugeordnet war.
Der Freibetrag gilt gemäß § 1 Abs. 2 ErbStG auch für Zuwendungen unter Lebenden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 10.5.2017 – II R 37/15