Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Péter Horváth
4.1 Stabilität und Agilität ausbalancieren für die Planung
Die Charakterisierung aller Optimierungsprojekte als agilitätsfördernd hat sich weitverbreitet. Wir wollen versuchen, im folgenden Abschnitt diese Begriffsnivellierung aufzufächern. Insbesondere steht die Frage im Vordergrund, wie Agilität und Stabilität ausbalanciert werden können.
Jedes Unternehmen benötigt zur Existenzerhaltung die Ausrichtung auf gemeinsame Ziele. Dies gibt Stabilität. Gelingt die Ausrichtung nicht, dann ist die Gefahr des unkoordinierten Agierens bzw. der Existenzgefährdung groß. Agilität der selbstabstimmenden Teams muss koordiniert werden. Wir müssen also fragen, inwieweit die Planungskoordination als klassisches Instrument reformiert werden soll, indem man ihr Agilität beibringt.
Voraussetzung für Effizienz und Effektivität agiler Planung ist, "dass man sich auf stabile einheitliche Prozesse verlassen kann" – so der damalige CFO von BOSCH, Asenkerschbaumer, der hierfür u. a. das Beispiel weltweit einheitliche Stammdaten nennt. "Standardisierung ist eine notwendige Voraussetzung für Agilität". Für firmeninterne Start-ups werden bei BOSCH standardisierte Prozesse, z. B. aus dem Finanzbereich, aufgeboten, damit diese sich auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können.
Ein weiterer Aspekt ist m. E. beim "Einstieg" in die Agilität eines Unternehmens noch sehr relevant: Die Planung als arbeitsteiliger Prozess liefert hervorragende Möglichkeiten zur Einübung einer agilen Unternehmenskultur.
Die Planungssysteme ("Legacy"-Systeme), die heute noch in der Praxis weitverbreitet sind, sind unflexibel, langsam und bürokratisch. Sie sind für die VUCA-Welt untauglich:
- "Das Planungssystem ist mehrstufig und besteht üblicherweise aus den Stufen strategische Planung sowie mittelfristige Planung und kurzfristige Planung, wobei die Planungshorizonte jeweils festgelegt sind (strategische Planung: 5-8 Jahre, mittelfristige Planung: 2-5 Jahre, kurzfristige Planung: 1 Jahr)."
- "Generell wird im sog. Gegenstromverfahren geplant; d. h. in einem iterativen Prozess werden Zielvorgaben der Unternehmensführung und Planung der operativen Ebene (nach mehreren Schleifen) zu einem verbindlichen Plan integriert."
- "Die Steuerung erfolgt anhand von periodischen Soll-Ist-Vergleichen, die mit einem systematischen Reporting dokumentiert werden."
- "Die Pläne sind durch zunehmende Detailliertheit gekennzeichnet. Auf der operativen Ebene werden Aktionspläne und Budgets (=monetäre Pläne) meist bis zum Kostenstellenlevel erarbeitet."
- "Die Planvorgaben – und deren Erreichung – sind die Basis des Incentive-Systems."
Die Kritik an der "traditionellen" Planung lässt sich daraus wie folgt zusammenfassen:
- Der Planungsprozess ist zu langsam, zu komplex, zu detailliert und zu zeitraubend.
- Die Planung ist durch starre Planungsziele und fester Zeithorizonte inflexibel.
- Die Integration der Planungsteilkomplexe zu einem Planungssystem ist mangelhaft.
Agile Tools können vor allem bei den beiden ersten Punkten Abhilfe schaffen. Allerdings benötigt man für den dritten Punkt einen integrierten Planungsrahmen.
Das Thema der Flexibilisierung der Planung beschäftigt die betriebswirtschaftliche Theorie und Praxis schon seit Jahrzehnten. Zwischen flexibler Planung und agiler Planung gibt es einen grundlegenden Unterschied: Flexible Planung bezieht sich vor allem auf die Planungsinhaltsgestaltung, agile Planung erstreckt sich auf den Prozess der Planung generell.
4.2 Planungsrahmen für agile Tools festlegen
Planungsagilität benötigt einen Ordnungsrahmen. Wir sehen die folgenden notwendigen Planungsaspekte, die den Rahmen für den Einsatz agiler Tools bilden sollen:
- Festlegung einer "Planungsphilosophie": Welche der vielen Planungsgrundsätze sollen gelten?
- Bestimmung der Planungsinhalte: Mit welcher Themenfokussierung soll geplant werden?
- Klärung der Datenbasis: Auf welche Informationen, mit welcher Aufbereitungsmethodik der Daten, soll die Planung basiert werden?
- Einsatz von IT-Tools: Welche Werkzeuge mit welcher Aussagekraft sollen eingesetzt werden?
Bei den Planungsgrundsätzen sind folgende Fragen zu beantworten:
- Mit welcher Verbindlichkeit wollen wir planen? Gibt es fixe Planweisen oder agile rollende Forecasts?
- Welche Funktionen soll die Planung haben? Soll sie z. B. die Basis von Incentives sein?
- Welche Regeln sollen für den Planungsprozess gelten? Das Beispiel von BOSCH illustriert diese (vgl. Abb. 3).
Abb. 3: Planungsregeln bei Bosch
Ein Grundübel vieler Unternehmenspläne ist ihre Scheingenauigkeit. Der stärkste Hebel zur Planungsvereinfachung ist die Fokussierung auf erfolgsrelevante Zielgrößen und der Verzicht auf die Detailplanung operativer Abläufe und Ressourcenverbräuche. Hier sind Wertreiberbäume eine große Hilfe, weil sie die Ursachen-Wirkungszusammenhänge gut wiedergeben (s. Abb. 4).
Abb. 4: Werttreiberbaum eines produzierenden Unternehmens
- Die Planung basiert auf Informationen, die aus der Flut von Daten extrahiert werden, die dem Unternehmen zur Verfügung stehen. Inzwischen stehen zahlreiche...