3.1 Tarifprivilegien
Die Praxisaufgabe gilt als Veräußerung. Wer als Freiberufler seine Praxis z. B. aus Altersgründen aufgibt, muss die Wirtschaftsgüter seines Betriebsvermögens, soweit sie im Rahmen der Praxisaufgabe nicht veräußert worden sind, nach § 16 Abs. 3 Satz 7 EStG mit ihrem gemeinen Wert in sein Privatvermögen überführen. Unter gemeinem Wert versteht man den Zeitwert (Verkehrswert). Dadurch werden die in den entnommenen Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven aufgedeckt.
Es entsteht in Höhe der Differenz zwischen dem steuerlichen Buchwert und dem tatsächlichen Wert, der fast immer darüber liegt, ein Entnahmegewinn, den der Steuerpflichtige zusammen mit dem Gewinn aus den im Rahmen der Praxisaufgabe veräußerten Wirtschaftsgütern als sog. Aufgabegewinn versteuern muss. Für Aufgabegewinne gibt es dieselben Steuervergünstigungen der §§ 16, 34 EStG wie für Praxisveräußerungsgewinne. Die Praxisaufgabe gilt nach § 18 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG als Veräußerung.
Eine Praxisaufgabe setzt – wie die Aufgabe eines Gewerbebetriebs – voraus, dass alle wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang innerhalb kurzer Zeit entweder insgesamt ins Privatvermögen überführt oder insgesamt einzeln an verschiedene Erwerber veräußert oder teilweise ins Privatvermögen überführt werden.
Einem Freiberufler ist für die Aufgabe seiner Praxis ein Zeitraum bis zu 6 Monaten zuzugestehen. Wird dieser Zeitraum wesentlich überschritten und ist dies nicht durch Vorliegen besonderer Verhältnisse gerechtfertigt, ist von einer nicht begünstigten Betriebsabwicklung auszugehen.
3.2 Geringfügige Fortsetzung der freiberuflichen Tätigkeit
Wie die Praxisveräußerung erfordert die Praxisaufgabe eine Einstellung der Tätigkeit. Einen steuerbegünstigten Aufgabegewinn erzielt ein Freiberufler also nur, wenn er seine selbstständige Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis, bei Teilpraxen im abgrenzbaren Bereich der Teilpraxis, zumindest für eine gewisse Zeit einstellt. Die spätere Wiederaufnahme einer gleichartigen Tätigkeit im bisherigen örtlichen Bereich nach gewisser Zeit ist wie bei der Veräußerung unschädlich. Auch die sofortige Aufnahme einer neuen Tätigkeit an einem ganz anderen Ort, außerhalb des bisherigen Wirkungskreises, steht der begünstigten Aufgabe nicht entgegen.
Die 10 %-Geringfügigkeitsgrenze gilt m. E. auch für die Praxisaufgabe, obwohl die Fortsetzung der Berufstätigkeit in geringem Umfang begrifflich keine komplette Aufgabe ist. Unschädlich ist auch, wenn der seine Praxis aufgebende Freiberufler künftig in seiner bisherigen oder einer anderen Praxis als Arbeitnehmer oder freier Mitarbeiter, also nicht mehr auf eigene Rechnung, mitarbeitet.
3.3 Miteigentum an den Praxisräumen
Häufig erwerben Ehegatten ein bebautes Grundstück zu hälftigem Miteigentum, das der Freiberufler-Ehegatte als Praxis nutzt. Oft nutzt der Praxisinhaber den Miteigentumsanteil seines Ehegatten an den Praxisräumen unentgeltlich, übernimmt aber alle Raumkosten und setzt diese zu 100 % als Betriebsausgaben ab.
Bei Praxisaufgabe stellt sich dann die Frage, ob der Miteigentumsanteil des Nichtunternehmer-Ehegatten an den Praxisräumen zum Betriebsvermögen des Praxisinhabers zählt und somit über die darin enthaltenen stillen Reserven dessen Aufgabegewinn erhöht. Der BFH hat dies verneint und entschieden, dass in den Aufgabegewinn nicht auch die stillen Reserven einzubeziehen sind, die auf den zivilrechtlichen Gebäudemiteigentumsanteil des Ehegatten entfallen.