Leitsatz
Wird eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Eigentumswohnung innerhalb der zehnjährigen Haltefrist veräußert, ist der Veräußerungsgewinn auch insoweit gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG von der Besteuerung ausgenommen, als er auf ein zur Erzielung von Überschusseinkünften genutztes häusliches Arbeitszimmer entfällt (entgegen BMF-Schreiben vom 05.10.2000, BStBl I 2000, 1383, Rz 21).
Normenkette
§ 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sätze 1 und 3, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b, § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin (Lehrerin) veräußerte ihre zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wohnung etwa fünf Jahre nach deren Erwerb mit Gewinn. Im Streitjahr und in früheren Jahren hatte sie ein häusliches Arbeitszimmer geltend gemacht, das mit dem Höchstbetrag von 1.250 EUR p.a. anerkannt worden war. Die Klägerin deklarierte den anteilig auf das häusliche Arbeitszimmer entfallenden Veräußerungsgewinn und wehrte sich gegen die entsprechende Festsetzung. Das FG hat der Klage stattgegeben (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.7.2019, 5 K 338/19, Haufe-Index 13702163, EFG 2020, 46).
Entscheidung
Auf die Revision des FA hat der BFH das angefochtene Urteil im Ergebnis bestätigt. De lege lata ist der anteilig auf die Veräußerung eines häuslichen Arbeitszimmers entfallende Veräußerungsgewinn nicht steuerbar, da es stets auch zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird (tatsächliche Vermutung).
Hinweis
1. Im zweiten Anlauf hat der BFH nun geklärt, ob der auf ein häusliches Arbeitszimmer entfallende Wertzuwachs bei der Veräußerung der Immobilie innerhalb von zehn Jahren nach Erwerb versteuert werden muss. Schon das FG Köln (Urteil vom 20.3.2018, 8 K 1160/15, EFG 2018, 1256) hatte in dieser Frage der Finanzverwaltung widersprochen, die die Steuerpflicht bejaht. Das FA hatte die Revision (Az. IX R 11/18) jedoch zurückgenommen. Nun hat der BFH die Auffassung der FG (auch die Vorinstanz hatte gegen die Finanzverwaltung entschieden) im Ergebnis bestätigt. Betroffene können erst einmal aufatmen. Es bleibt aber – wie immer – abzuwarten, ob die Finanzverwaltung das Urteil akzeptiert oder für eine gesetzliche Klarstellung sorgen wird. Interessant sind die Begründungsansätze:
2. Nach dem BMF-Schreiben von 2000 (s. Leitsatz) "dient" das häusliche Arbeitszimmer nicht eigenen Wohnzwecken. Das dem Verfahren beigetretene BMF sieht ergänzend einen systematischen Zusammenhang zwischen Werbungskostenabzug und Schlussbesteuerung: Wer den Vorteil hat, soll auch den Nachteil tragen müssen. Diesen Zusammenhang verneint der BFH. Insbesondere die Rechtsprechung des BVerfG und des GrS des BFH zum häuslichen Arbeitszimmer sei zum Werbungskostenabzug ergangen, der hier nicht gegenständlich sei. Es gehe ausschließlich um die Auslegung von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sätze 1 und 3 EStG.
3. Aber auch bei der Auslegung dieser Vorschrift gehen die Meinungen auseinander:
a) Die FG (Köln und Stuttgart, s.o.) haben übereinstimmend argumentiert, das häusliche Arbeitszimmer sei kein Wirtschaftsgut, weil es nicht einzeln veräußert werden könne. Sei die veräußerte Immobilie (Wirtschaftsgut) im Übrigen zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden, erstrecke sich die Ausnahme von der Steuerbarkeit auch auf das (mitveräußerte) häusliche Arbeitszimmer. Denkbar wäre aber auch der gegenteilige Schluss (volle Steuerbarkeit des Veräußerungsgewinns). Der BFH hat ausdrücklich offengelassen, ob er sich der "Wirtschaftsgutlösung" anschließen könnte.
b) Stattdessen hat der BFH die Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers zu eigenen Wohnzwecken bejaht.
aa) Anders als das BMF annimmt, kommt es zunächst nicht darauf an, ob das häusliche Arbeitszimmer zu eigenen Wohnzwecken "dient". Die Widmung ist unerheblich. Der Wortlaut der Norm ist eindeutig. Allein entscheidend ist die tatsächliche Nutzung. Deren Feststellung wäre nun im Grundsatz eine Tatfrage. Der BFH bejaht insofern aber eine tatsächliche Vermutung für eine private Mitbenutzung und erspart den FA und den FG damit die Sachaufklärung im Einzelfall.
bb) Die Vermutung für eine (geringe) private Mitnutzung des häuslichen Arbeitszimmers ist auch mit der Rechtsprechung des GrS und des BVerfG vereinbar, denn der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers verlangt nur eine "nahezu" ausschließliche betriebliche oder berufliche Nutzung. Im Übrigen unterstellt er eine (unschädliche), wenn auch geringe private Mitbenutzung. Dieses Verständnis ist realitätsnah und bildet sicherlich den typischen Fall ab (Typusbegriff).
cc) Das genügt für die Anwendung von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG, denn die Rechtsprechung wendet die Vorschrift großzügig an. Ein bestimmtes Maß, eine bestimmte Intensität der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken wird nicht vorausgesetzt. Es gibt insofern auch keine Bagatellgrenze (so ausdrücklich der BFH im Besprechungsurteil).
4. Die Begründung des BFH ist sicherlich tragfähig. In ihrer klaren Begrenzung auf den Wortlaut und die bisherige Interpretation des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG durch den BFH lässt sie sich aber auch durch eine Änderu...