2.3.1 Fehlerbegriff
Ein Produkt hat einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere seiner Darbietung, des Gebrauchs, des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde, berechtigterweise erwartet werden kann. Abzustellen ist dabei nicht auf die subjektive Sicherheitserwartung des jeweiligen Benutzers, sondern objektiv darauf, ob das Produkt diejenige Sicherheit bietet, die die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Dies ist nach denselben objektiven Maßstäben zu beurteilen wie bei den Verkehrspflichten eines Herstellers im Rahmen der deliktischen Haftung gem. § 823 Abs. 1 BGB.
Bei implantierbaren Cardioverter Defibrillatoren (ICD) können wegen ihrer Funktion, der Situation besonderer Verletzlichkeit der diese Geräte nutzenden Patienten und des außergewöhnlichen Schadenspotentials alle Produkte derselben Produktgruppe oder Produktionsserie als fehlerhaft eingestuft werden, wenn bei Geräten der Gruppe oder Serie eine Fehlfunktion festgestellt wurde, ohne dass der Fehler bei dem im konkreten Fall betroffenen ICD festgestellt zu werden braucht.
Der Hersteller haftet für den Ersatz des durch eine chirurgische Operation zum Austausch eines fehlerhaften Herzschrittmachers verursachten Schadens, wenn der Austausch erforderlich ist, um den Fehler zu beseitigen und das Sicherheitsniveau wiederherzustellen, das die Patienten zu erwarten berechtigt sind.
Sicherheitserwartung
Für die Sicherheitserwartung kommt es nicht auf die Erwartung des einzelnen Verbrauchers an; der Maßstab ist objektiviert auf den Sicherheitsstandard, der vom beteiligten Verkehrskreis berechtigterweise erwartet werden kann. Die berechtigte Sicherheitserwartung i. S. des § 3 Abs. 1 ProdHaftG geht grundsätzlich nur dahin, dass von einem Produkt bei vorhersehbarer üblicher Verwendung unter Beachtung der Gebrauchs- bzw. Installationsanleitung keine erheblichen Gefahren für Leib und Leben der Nutzer oder unbeteiligter Dritter ausgehen. Von dem Hersteller kann nicht verlangt werden, für sämtliche Fälle eines unsorgfältigen Umgangs mit dem Produkt, zu dem auch die fachwidrige Installation gehören kann, Vorsorge zu treffen.
Kirschtaler-Fall
Bei einem Gebäckstück, das unter der Bezeichnung "Kirschtaler" angeboten wird, geht der Verbraucher davon aus, dass es mit Kirschen hergestellt wird. Der Verbraucher weiß auch, dass die Kirsche einen Kirschkern enthält. Seine Sicherheitserwartung kann deshalb nicht ohne Weiteres sein, dass das Gebäckstück "Kirschtaler" zwar Kirschen, aber keinerlei Kirschkerne enthält.
Darbietung
Die Sicherheitserwartung wird wesentlich geprägt durch Produktwerbung in den Medien, durch öffentliche Produktpräsentationen, die Anbringung von Warnhinweisen oder Gütesiegeln, die Montageanleitung oder Gebrauchsanweisung. Alle produktbezogenen Aussagen können haftungssteigernd wirken.
Besteht bei großflächiger Anwendung einer Gesichtshaarentfernungscreme nach erfolgreichem Vortest und Beachtung der Gebrauchshinweise die Gefahr starker Hautirritationen mit Langzeitschäden, so entspricht das Produkt nicht den Sicherheitserwartungen der Personen, die damit in Berührung kommen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Hersteller keinen entsprechenden Warnhinweis auf der Verpackung anbringt, vielmehr die erteilten Hinweise den durchschnittlichen Konsumenten sogar in der Erwartung bestärken können, dass mit einer solchen Gefahr bei sorgfältiger Beachtung der Gebrauchshinweise gerade nicht zu rechnen ist.
Gebrauchserwartung
Ein Produkt muss für den bestimmungsgemäßen Gebrauch fehlerfrei sein/bleiben; dieser ergibt sich in erster Linie aus dem Zweck des Produkts. Haftungsbegründend ist jedoch auch der voraussehbare Fehlgebrauch. Dagegen führt der offensichtliche Produktmissbrauch nicht zur Haftung.
Fehlgebrauch ist oft vorhersehbar
Der Hersteller von Kindertee muss darauf hinweisen, dass durch "Dauernuckeln" Karies hervorgerufen werden kann. Anderenfalls muss er z. B. für die Zahnarztbehandlungskosten aufkommen.
Gegenbeispiele:
- Ein technisches Lösungsmittel wird als Rauschmittel verwendet.
- Ein Stahlnagel wird mit einem Hammer in eine harte Steinmauer hineingeschlagen; der Nagel splittert und verletzt K am Auge.
- Eine Brauerei ist nicht verpflichtet, auf der Bierflasche vor den Gefahren übermäßigen Alkoholkonsums zu warnen; dies gilt auch für Gesundheitsschäden durch Rauchen.
Bei Zweifelsfällen empfehlen sich stets Warnhinweise!
Problematisch kann es bei einem neu konstruierten Produkt sein, bei dem noch keine gefestigten Sicherheitserwartungen bestehen. Hier werden die Sicherheitserwartungen der Verbraucher durch die Produkte geprägt, die das neu konstruierte Produkt ersetzen soll. Das neue Produkt darf keine neuen Risiken schaffen.
Maßgeblicher Zeitpunkt
Die Fehlerhaftigkeit ist ausschließlich nach dem Maßstab zum Zeitpunkt des "In-den-Verkehr-bringens" des Produkts zu beurteilen. Verbessert sich der Sicherheitsst...