Alfred Schmidbauer, Dr. Philipp Lill
3.1 Situation: Marktführer mit hoher Abhängigkeit von wenigen Margenbringern
Siemens Advanta Consulting wurde beauftragt, dem Produktportfoliomanagement eines Unternehmens beratend zur Seite zu stehen. Das Unternehmen bedient mit dem Produktportfolio einerseits eine hohe Zahl verschiedenster Industriekundensegmente, ist jedoch andererseits fokussiert auf einen kleinen Ausschnitt in der Wertschöpfungskette des Kunden. Innerhalb dieses hochspezialisierten Kernmarktes ist es Markt- und Technologieführer und somit in hohem Maße abhängig von wenigen Cash Cows. Zudem zeichnet sich das historisch gewachsene Produktportfolio durch eine steigende Portfolio-Komplexität aus.
Auch aufgrund des Wettbewerbsdrucks aus sog. "Neuen Märkten" wurden Profitabilitätsziele mehrfach durch den geringen Wertbeitrag margenverwässernder Produkte verfehlt. Die Optimierung existierender Produkte zur Steigerung der Profitabilität hat ihre Grenzen erreicht, sodass Investitionen in Innovation und Produktportfolioerneuerung unabdingbar für das Überleben des Unternehmens sind.
Trotz der Entwicklung einer entsprechenden Strategie unter Verwendung strategischer Buckets und der expliziten Budgetzuweisungen für Innovations- und Digitalisierungsthemen konnten diese nicht realisiert werden. So hatte der hohe Pflegeaufwand des existierenden Produktportfolios zur Folge, dass nicht genügend F+E-Budget vorhanden war, um in innovative Ideen zu investieren.
3.2 Komplikation: Steigender Wettbewerbsdruck und intransparente F+E-Entscheidungen bei unzureichender Marktkenntnis
Der Druck auf das Unternehmen stieg zunehmend, da eine wachsende Anzahl von Wettbewerbern aus dem "Commodity-Bereich" in wertschöpfende Marktsegmente einstieg und dem Unternehmen somit Konkurrenz machte. Durch eine fehlende kontinuierliche und systematische Marktanalyse auf Produktebene konnte diesem Angriff zunächst wenig entgegengesetzt werden – es war schlicht nicht erkennbar "von wo" der Angriff erfolgt und wie man sich am besten wehrt: Es mangelte an Transparenz über die Performance einzelner Produkte im Hinblick auf den Wettbewerb. Zudem hatte man keine Informationen darüber, wie hoch die funktionalen und technischen Eintrittsbarrieren in die High-end-Marktsegmente waren und ob bzw. wie man sich weiterhin in diesen Marktsegmenten differenzieren kann. Daraus resultierte eine intransparente Entscheidungsgrundlage für die Weiterentwicklung des eigenen Produktportfolios, die viel Spielraum für ineffektive und ineffiziente Diskussionen und schließlich F+E-Budgetzuteilungen bot. Die Frage nach den Notwendigkeiten, um den Wert des Produktportfolios nachhaltig zu maximieren, konnte somit nicht nachhaltig beantwortet werden.
3.3 Lösung: Produktportfoliomanagement mit szenariobasierter F+E-Budgetallokation
Diese Transparenz konnte mittels der in Kap. 2 beschriebenen Systematik des Siemens Advanta Produktportfoliomanagement-Ansatzes und der Anpassung des zugehörigen "Operating Models" geschaffen werden. So wurde durch die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses des Marktes und der eigenen Performance im Vergleich zum Wettbewerb eine nahezu nahtlose, organisationsübergreifende Entscheidungsbasis für das Führungsteam geschaffen. Dabei wurden speziell für die besonders gefährdete Marktführerschaft in den High-end-Segmenten detaillierte (Produkt-)Anforderungsprofile entwickelt, die sowohl funktional-technische als auch nicht funktionale Kriterien beinhalteten. Markteintrittsbarrieren wurden auf dieser Basis soweit wie möglich quantifiziert. Dies ermöglichte, dass gefühlsgesteuerte und intransparente Diskussionen der F+E-Budgetallokation der Vergangenheit angehörten und nun faktenbasierte, effizient gesteuerte Diskussionen geführt werden konnten.
Unter der Verwendung des Profit-Design-Tools konnte erstmalig eine Szenariobetrachtung erfolgen, in der konkrete Implikationen gegenübergestellt wurden. Zunächst wurde das Bewertungsframework festgelegt, das die Grundlage für die Priorisierung der Entwicklungsprojekte bildet. Dieses beinhaltet zum einen die Priorisierungslogik, wie in Abb. 7 dargestellt, und zum anderen die inhaltliche Festlegung der Bewertungskriterien. Als Kriterien wurden dabei sowohl quantitative Messgrößen wie "Delta EBIT" in 5 Jahren im Vergleich zu heute, als auch qualitative Kriterien, sog. Business-Fit-Kriterien festgelegt. Letztere bezogen sich z. B. auf die Plattformstrategie, den Global Footprint oder auf nachhaltige Wettbewerbsvorteile. Darüber hinaus mussten die Rahmenbedingungen festgelegt werden, an denen sich alle Investitionsszenarien orientieren müssen. Dies schränkt i. d. R. den möglichen Lösungsraum stark ein. Im vorliegenden Fall war dies u. a.:
- Das im nächsten Geschäftsjahr zur Verfügung stehende Budget war nicht mehr verhandelbar.
- Projekte, die sich bereits in der Entwicklung befanden und einen bestimmten Meilenstein passiert hatten, sollten nicht mehr durch den Produktportfoliomanagementprozess gestoppt werden.
Als Konsequenz reduzierte sich das frei verteilbare Budget erheblich. Die Festlegung von möglichen Investitionsszenarien erfolgte iterativ in Workshops mit betroffenen Produktmanagern und F+E und konzentrierte sich auf Budgetumschichtungen zwischen den "Strategic Buckets" Cost Down und Innovation. Dies führte konkret zu einer ...