1 Systematische Einordnung
Der (positive wie negative) Progressionsvorbehalt (§ 32b Abs. 1 EStG) dient der Ermittlung des korrekten persönlichen Steuersatzes. Im Einkommensteuerrecht ist der Tarif nicht linear, sondern progressiv ausgestaltet (§ 34 EStG). Je mehr Einkünfte der Stpfl. erzielt, desto höher ist sein persönlicher Steuersatz. Dieser kann daher nur dann korrekt ermittelt werden, wenn auch steuerfreie Einkünfte für (und nur für) die Ermittlung des Tarifs berücksichtigt werden. Der Tarif bestimmt sich nach den Gesamteinkünften, die aus stpfl. und steuerfreien Einkünften bestehen. Im internationalen Kontext bedeutet dies, dass auch in Deutschland nicht stpfl. Einkünfte, z. B. wegen einer Freistellung nach DBA (vgl. "Freistellungsmethode"), im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen sind.
Werden positive Einkünfte für die Ermittlung des Steuersatzes berücksichtigt, spricht man vom positiven Progressionsvorbehalt. Werden dagegen Verluste berücksichtigt, besteht ein sog. negativer Progressionsvorbehalt.
2 Inhalt
§ 32b Abs. 1 EStG sieht vor, dass nach einem DBA (Nr. 3) sowie nach anderen zwischenstaatlichen Übereinkommen (Nr. 4) freigestellte Einkünfte bei der Berechnung des persönlichen Steuersatzes zu berücksichtigen sind. Der Progressionsvorbehalt ist für unbeschränkt und erweitert beschr. Stpfl., aber nicht für nur beschr. Stpfl. anwendbar; vgl. "Unbeschränkte Steuerpflicht"; "Erweitert beschränkte Steuerpflicht"; "Beschränkte Steuerpflicht":
Nach DBA freigestellte Einkünfte sind danach grundsätzlich für die Bestimmung des persönlichen Steuersatzes zu berücksichtigen. Dies soll für Einkünfte, die gem. § 4 Abs. 3 EStG ermittelt werden (Einnahme-Überschuss-Rechnung), für Anschaffungskosten, die grundsätzlich bei Ausgabe als negative Einkünfte beim Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen wären, erst im Zeitpunkt der Veräußerung der Wirtschaftsgüter (und damit zum Zeitpunkt der Berücksichtigung der entsprechenden Einnahmen im Rahmen des Progressionsvorbehalts) gelten. Zudem sind Einkünfte im Rahmen des Progressionsvorbehalts nicht zu berücksichtigen, wenn es sich um Einkünfte aus einem EU-Staat handelt und diese stammen aus
- einer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebsstätte (§ 32b Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EStG);
- einer i. S. d. § 2a EStG passiven Betriebsstätte (§ 32b Abs. 1 S. 2 Nr. 2 EStG); vgl. "Betriebsstätte (Begriff)";
- Vermietung und Verpachtung von Immobilien oder Sachinbegriffen, wenn diese innerhalb der EU belegen sind (§ 32b Abs. 1 S. 2 Nr. 3 EStG);
- Vermietung und Verpachtung von Schiffen, wenn diese (fast) ausschließlich innerhalb der EU eingesetzt werden, es sei denn, es handelt sich um Handelsschiffe, die nicht "bare boat" verchartert werden oder von einer EU-Gesellschaft ausgerüstet werden (§ 32b Abs. 1 S. 2 Nr. 4 EStG);
- Teilwertabschreibungen bei bestimmten Wirtschaftsgütern, die zu einer passiven Betriebsstätte i. S. d. 2a EStG gehören (Nr. 5).
Diese Regelung führt dazu, dass nur als aktiv i. S. d. § 2a EStG angesehene Einkünfte den persönlichen Steuersatz erhöhen oder verringern. Damit soll eine als missbräuchlich angesehene Nutzung von passiven Verlusten im internationalen Kontext verhindert werden. Eine derartige Abzugsbeschränkung nur für Verluste würde gegen die Europäischen Grundfreiheiten verstoßen; daher musste die bisherige Regelung, die nur Verluste erfasste, auf entsprechende positive Einkünfte ausgedehnt werden.
Ist der Stpfl. nicht während des gesamten Vz in Deutschland unbeschränkt stpfl., so sind gem. § 2 Abs. 7 EStG auch die inländischen Einkünfte (§ 34a EStG) während der Zeit der beschr. Steuerpflicht in Deutschland im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht zu besteuern und damit auch bei der Bestimmung des Steuersatzes zu berücksichtigen. Unterliegen die Einkünfte im Rahmen der beschr. Steuerpflicht in dieser Zeit nicht der Besteuerung in Deutschland (ausl. Einkünfte), sind sie dennoch bei der Bestimmung des Steuersatzes zu berücksichtigen (§ 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG), es sei denn, sie wären im Fall einer unbeschränkten Steuerpflicht aufgrund eines zwischenstaatlichen Abkommens i. S. d. § 32b Abs. 1 Nr. 4 EStG (nicht eines DBA) steuerfrei in Deutschland und nach diesem Abkommen nicht im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.
3 Praxisfragen
Der Progressionsvorbehalt ist auch dann anwendbar, wenn das DBA keine entsprechende Regelung vorsieht. Nur wenn der Progressionsvorbehalt durch das DBA ausdrücklich versagt wird, ist eine Anwendung nicht möglich. Das DBA eröffnet die Möglichkeit der Anwendung des Progressionsvorbehalts.
In der Beratungspraxis wird teilweise versucht, die Folgen eines negativen Progressionsvorbehalts auszunutzen. Sind im Ausland erzielte Verluste, die im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts so hoch, dass sie die in Deutschland stpfl. Einkünfte übersteigen, ergibt sich ein persönlicher Steuersatz von Null, da sich der Steuersatz nach den weltweit...