Trotz immer noch geäußerter kritischer Bedenken aus der betriebswirtschaftlichen Theorie ist die Prozesskostenrechnung dabei, sich mehr und mehr in der Praxis durchzusetzen. Dies beruht darauf, dass sich die Anforderungen des Managements an die Kostenrechnung geändert haben. Mit der steigenden Bedeutung der Kosten der sogenannten indirekten Bereiche und einer gleichzeitigen Abnahme der Bedeutung der direkten Produktionskosten werden Fragestellungen aufgeworfen, die von den traditionellen Kostenrechnungssystemen (abgekürzt KR-Systeme) nur unzureichend beantwortet werden können.
Abb. 1: Veränderung der Kostenstrukturen
Es stellt sich die Frage, ob die traditionellen KR-Systeme (flexible Plankostenrechnung, Grenzplankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung) in der Lage sind, die aktuellen Planungs-, Steuerungs- und Kontrollaufgaben der indirekten Bereiche (Forschung und Entwicklung, Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Einkauf, Vertrieb, Logistik, Instandhaltung, Software-Entwicklung, Qualitätssicherung) stark zunehmen und sich bei sinkenden Einzelkosten die Kostenstrukturen verschieben.
Die traditionellen KR-Systeme sind starr auf den Fertigungsbereich ausgerichtet. Die indirekten Bereiche kommen zu kurz. In Dienstleistungsbetrieben versagen die traditionellen Instrumente fast völlig. Außerdem sind sie nicht in der Lage, strategische und produktpolitische Fragen nach den Kosten innerbetrieblicher Dienst- und Serviceleistungen zu beantworten, z. B. die Kosten einer Auftragsbearbeitung, die Kosten einer Neukonstruktion, die Kosten einer zusätzlichen Produktvariante, die Kosten einer Produktänderung, oder auch die Kosten der Betreuung eines Kunden zu quantifizieren.
Gemeinkosten werden über die innerbetriebliche Leistungsverrechnung (über Bezugsgrößen oder Zuschlagssätze) auf andere Kostenstellen bzw. auf die Produkte verteilt. Gemeinkosten in den indirekten Bereichen sind aber nicht von traditionellen Bezugsgrößen wie Maschinenstunden, Einzelkosten, Herstellkosten, sondern von anderen Größen wie Anzahl der bearbeitenden Aufträge, der Komplexität oder der Variantenvielfalt abhängig.
Die Kritik umfasst auch die Grenzplankostenrechnung:
- Sie ist nur kurzfristig ausgelegt (Planungsperiode in der Regel ein Jahr, Unterstellung unveränderter Kapazitäten).
- Die Deckungsbeiträge werden bei abnehmenden Einzelkosten tendenziell immer höher und verlieren an Aussagekraft.
- Bei Ausbau zu einer Vollkostenrechnung erfolgt eine Fixkostenschlüsselung, die der Kostenverursachung nicht entspricht.
1.1 Einsatzgebiete der Prozesskostenrechnung
Eingesetzt wird die Prozesskostenrechnung vornehmlich in Dienstleistungsunternehmen sowie in den indirekten Bereich von Fertigungsunternehmen, in denen die sogenannten Gemeindekostenprozesse ablaufen. In den Fertigungsbereichen der Industrie sind die traditionellen Kostenrechnungssysteme (flexible Plankostenrechnung und Grenzplankostenrechnung) nach wie vor weiter bevorzugt einzusetzen.
1.2 Besondere Zielsetzungen der Prozesskostenrechnung
Mit der Prozesskostenrechnung soll
- eine Erhöhung der Kostentransparenz in den indirekten Bereichen erzielt werden;
- eine verursachungsgerechtere Verrechnung von internen (Dienst-)Leistungen im Rahmen der Produktkalkulation erreicht werden;
- die Vermeidung von strategischen Fehlentscheidungen zur Produktpolitik möglich werden;
- eine Kostenkontrolle der indirekten Bereiche erfolgen;
- ein strategisches Kosteninformationssystem aufgebaut werden, das es ermöglicht, aufgrund seines prozess-, bzw. aktivitätsorientierten Vollkostencharakters längerfristig ausgerichtete strategische produkt- und preispolitische Entscheidungen zu treffen.