Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer
[Ohne Titel]
StB Alexander Thoma / RAin, StBin Ellen Kirchhainer
Der Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer ist Gegenstand sowohl nationaler und europäischer Rechtsprechung als auch lebhafter Diskussionen in der Fachliteratur. Ist die Verfügungsmacht am Gegenstand der Einfuhr legitime Voraussetzung für das Recht zum Vorsteuerabzug und anhand welcher Tatbestandsmerkmale lässt sich feststellen, welche Partei in einem Liefergeschäft die Verfügungsmacht am Einfuhrgegenstand zum Zeitpunkt der Einfuhr innehat? Die deutsche Finanzverwaltung hat mit BMF-Schreiben v. 16.7.2020 unter Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses zu der Frage Stellung genommen, wonach sich der Zeitpunkt der Lieferung und damit der Zeitpunkt des Übergangs der Verfügungsmacht für Zwecke des Vorsteuerabzugs nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG (Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für das Unternehmen eingeführt worden sind) bestimmt. Der folgende Artikel wird sich damit auseinandersetzen, wie die Person des Verfügungsberechtigten für Zwecke des Vorsteuerabzugs aus der Einfuhrumsatzsteuer nach aktueller Rechtslage zu bestimmen ist, welche Auswirkungen diese Regelungen auf Reihengeschäfte haben, bei denen Gegenstände aus dem Drittland in das Inland gelangen und welche Zweifelsfragen sich dabei ergeben.
1. Aktuelle Rechtslage
Gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG kann ein Unternehmer die entstandene Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen eingeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Nach gefestigter Auffassung der deutschen Finanzverwaltung ist der Einfuhrgegenstand nur dann "für das Unternehmen" eines Unternehmers eingeführt, wenn der Unternehmer die Verfügungsmacht über den Gegenstand zum Zeitpunkt der Überlassung zum zollrechtlichen freien Verkehr in der EU (Einfuhr) innehat. Diese Auffassung ist sowohl durch nationale Rechtsprechung als auch Rechtsprechung des EuGH bestätigt worden und soll nicht Gegenstand der nachfolgenden Diskussion sein. Nicht entscheidend ist jedenfalls, wer die Einfuhrumsatzsteuer entrichtet hat und wer den eingeführten Gegenstand tatsächlich über die Grenze gebracht bzw. bei den Zollbehörden gestellt hat.
Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte ab und gelangt dieser Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer, liegt ein sog. Reihengeschäft vor. Endet die Warenbewegung in einem solchen Reihengeschäft im Inland und wird der Liefergegenstand hier eingeführt, so stellt sich die Frage, welchem der Beteiligten die Verfügungsmacht am Liefergegenstand zum Zeitpunkt der Einfuhr zuzurechnen ist.
In seiner Fassung bis zum 15.7.2020 sah der Umsatzsteuer-Anwendungserlass eine Vereinfachung für diese Frage vor. Danach war in einem Reihengeschäft der Lieferer in der Reihe, der die Einfuhrumsatzsteuer entrichtet hat, zum Abzug derselben berechtigt. Mit BMF, Schr. v. 16.7.2020 hat die Finanzverwaltung diese Regelung ersatzlos gestrichen. Für Zwecke des Abzugs der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer ist der Zeitpunkt der Lieferung – und damit der Zeitpunkt der Übertragung der Verfügungsmacht – stattdessen nach der umsatzsteuerlichen Ortsbestimmung gem. § 3 Abs. 6 bis 8 UStG zu ermitteln. Die der Lieferung zugrunde gelegten Lieferklauseln (Incoterms) sind als zivilrechtliche Verpflichtungen unbeachtlich. Damit bestätigt die Finanzverwaltung konsequent ihre bislang vertretene Auffassung, dass § 3 Abs. 6 bis 8 UStG den Lieferort und damit zugleich auch den Zeitpunkt der Lieferung regeln. Nach Auffassung des BMF erfolgen sowohl die Streichung der Vereinfachung für den Abzug der Einfuhrumsatzsteuer im Reihengeschäft als auch alle weiteren entsprechenden Änderungen des Anwendungserlasses lediglich zur Klarstellung und finden Anwendung auf alle zu diesem Zeitpunkt noch offenen Fälle.
2. Anwendung der Rechtslage bei Reihengeschäften
Die Bestimmung der verfügungsberechtigten Person in einem Reihengeschäft anhand der Ortbestimmung gem. § 3 Abs. 6 bis 8 UStG führt zu folgenden Ergebnissen:
Ausgangsfall
Unternehmer C aus der Schweiz bestellt Waren beim Händler B in Hamburg. B kauft die Waren beim Großhändler A aus Japan. C verkauft die Waren an einen Kunden D in Düsseldorf. Die Waren werden direkt von Tokio nach Düsseldorf geliefert.
Alternative 1
A übernimmt die Versendung der Waren. B überlässt sie zum freien Verkehr.
Di...